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seelt gedacht, so ergibt sich der A n i m i s m u s oder die A 11 -

b e s e e l u n g s l e h r e

1

.

3.

D i e R e l i g i o n w u r z e l t i m Z a u b e r g l a u b e n .

Diese um die Jahrhundertwende angebahnte Lehre stellte sich dem

Animismus Tylors als „ P r ä a n i m i s m u s “ entgegen.

Einige untergeordnete Erklärungsversuche sind:

4.

Der E u h e m e r i s m u s . Euhemeros (um 300 v. Chr.) behauptete, daß

alle Götter ursprünglich Menschen gewesen seien, die später durch die Sage

idealisiert wurden. — Auch hier ist der Schritt vom Sinnlichen zum Übersinn-

lichen nicht erklärt, sondern stillschweigend übergangen (Idealisierungstheorie).

5.

Die R e l i g i o n a l s k l u g e E r f i n d u n g z u r S i c h e r u n g d e r

s o z i a l e n O r d n u n g . Schon die Sophisten Griechenlands haben den Ge-

danken verfochten, besonders kluge Staatsmänner und schlaue Priester hätten

ihre Gebote als von Gott gegeben verkündet, um diesen damit mehr Nachdruck

zu verleihen. Eine eigentliche Theorie der Religion kann diese Lehre und der

Euhemerismus nicht genannt werden, da das vorgebliche Göttliche seinem

Wesen und seiner Entstehung nach dabei vielmehr vorausgesetzt als erklärt wird.

6.

P s y c h o l o g i s c h e T h e o r i e n . Alle die angeführten Theorien sind

insofern auch psychologische Theorien, als sie bestimmte seelische Vorgänge wie

„primitive Kausalität“, „Zauberglauben“, „Geister und Seelenglauben“ auf ihre

psychologischen Gründe zurückführen und darin die Wurzel der Religion auf-

decken wollen. Die Erklärung des Wesens der Religion auf dieser Grundlage kann

man im allgemeinen religiösen „Psychologismus“ nennen. In einem engeren Sinne

„psychologisch“ sind sodann jene Theorien, welche die Religion aus einem

„transzendentalen Triebe“, „Hang zum Übersinnlichen“, kurz einem seelischen

Trieb erklären, der aber keineswegs innere Notwendigkeit und innere Wahrheit

in sich haben muß, sondern so wie andere Gefühle, Hoffnung, Furcht, Liebe,

auf Täuschung, auf zufälligen persönlichen Dispositionen, Wünschen und Phanta-

siegebilden des Menschen beruhen kann. Jene Schulen, welche vornehmlich die

psychologische Unterlage der Religion zum Gegenstande nehmen, bilden die

„ r e l i g i o n s p s y c h o l o g i s c h e n “ ; jene, welche vornehmlich die veran-

lassenden Tatsachen der Außenwelt zum Gegenstande nehmen, die im engern

Sinne r e l i g i o n s s o z i o l o g i s c h e n R i c h t u n g e n .

Wir geben von den Arbeiten der letzteren im folgenden einen kurzen Über-

blick.

II.

Die wichtigsten Schulen der naturalistischen Religionssoziologie

und ihre Lehren

Die empiristischen Wesenstheorien der Religion, die wir soeben

überblickten, werden von verschiedenen Schulen in verschiedener

1

Edward Burnett Tylor: Primitive Culture, 2 Bde, London 1871, deutsche

Ausgabe: Die Anfänge der Kultur, übersetzt von Johann Wilhelm Spengel und

Friedrich Poske, 2 Bde, Leipzig 1873, seither viele Auflagen.