Table of Contents Table of Contents
Previous Page  3728 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 3728 / 9133 Next Page
Page Background

295

Nach Aristoteles

1

ist bekanntlich Gott „Denken des Denkens“,

Selbstbetrachtung — man merke die mystische Prägung, welche

Eckehart diesem aristotelischen Gedanken zu geben weiß, indem er

sagt, Gott sei da allein in seiner Stille, unberührbar.

Nun ist aber die Seele nach Eckehart „Gotte also sippe“, daß sie

(aus Gnade, nicht von Natur) gleichsam eins mit ihm sei, ein „Bei-

wort“ zu dem Worte, das er spricht (das Wort = Sohn):

„Ich meine überall dieses Wörtlein ,quasi', das heißet ,als‘ (sowie, gleichsam),

und das ist es, was ich in allen meinen Predigten meine. Und das heißen die

Kinder in der Schule ein ,Beiwort'.“ (nämlich daß die Seele als Beiwort gleichsam

„wie Gott sei“)

2

.

Darauf gründet nun der für die Erkenntnislehre Eckeharts ent-

scheidende Gedanke:

„Gottes Seligkeit liegt an der Einwärtswirkung (seinem Insichschauen) der

Vernünftigkeit, wo das Wort innebleibend ist (in der göttlichen Selbstbetrach-

tung); und hier soll die Seele sein ein Beiwort und mit Gottes Wirken ein Werk,

in der in sich selbst schwebenden Erkenntnis (in der Selbsterkenntnis) ihre Selig-

keit zu nehmen in derselben Weise, wie Gott ist“

3

Das heißt nicht weniger, als daß die Seele im mystischen Zustande

teilnehme am göttlichen Leben und damit auch am g ö t t l i c h e n

E r k e n n e n !

Das scheint nun dem heutigen Menschen mehr wie aus einem

Traume geredet. Ehe wir aber darüber urteilen, verfolgen wir Ecke-

harts Gedanken noch weiter. — Von dieser seiner Lehre wird erst

eine andere Stelle aus der berühmten 56. Predigt Eckeharts völlig

klar:

„Alle Kreaturen die schmecken dem äußern Menschen (den äußeren Sinnen)

als Kreaturen, als Wein und Brot und Fleisch. Aber meinem inneren Menschen,

dem schmecken sie nicht als Kreaturen, mehr: Als Gabe Gottes. Aber mein

innerster Mensch (das Fünklein) schmecket sie nicht als Gabe Gottes, mehr: Als

je und je (als von jeher) mein.“

4

Hier spricht Eckehart seine ganze Erkenntnistheorie aus. Der

Schlüssel liegt in den leicht zu übersehenden, bisher nicht beach-

1

Aristoteles: Metaphysik, XII.

2

Meister Eckehart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Göttingen 1924, Pre-

digt LXXXIV, S. 271, Zeile 9; Franz Jostes: Meister Eckhart und seine Jünger,

Ungedruckte Texte zur Geschichte der deutschen Mystik, in: Collectanea Fri-

burgensia Fasc. IV, Freiburg in der Schweiz 1895, No. 31.

3

Meister Eckehart, Predigt LXXXIV, S. 272, Zeile 11.

4

Meister Eckehart, Predigt LVI, S. 180, Zeile 30.