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Das „Erkennen aus Erkanntwerden“, dieser dem heutigen Den-

ken so schwierige Begriff, ist zuletzt eine Umschreibung dieser Be-

griffe des Mitwesens, Beiwortes, Sohnes und Erbens, der Teilnahme

am göttlichen Leben in jedem Sinne.

Hiermit ist endlich auch die oben gestellte Frage beantwortet.

„Da ich stund in dem Grunde und Boden ... der Gottheit, da fra-

gete mich niemand, wohin ich wollte“ und: „Da ich ausfloß, fragete

man mich, da Bruder Eckehart, wann ginget ihr aus dem Hause?

— da war ich darin“: das I n n e b l e i b e n d e , das in Gott ge-

borgen und verborgen Bleibende, das ist es, was sich in Einheit mit

Gott befindet. Und in dieser Einheit liegt alles beschlossen, was

Eckehart von ihr sagt: ein Erkanntwerden, ein Erkennen daraus,

nicht nur Gottes, sondern auch der Urbilder, der Ideen, die in Gott

beschlossen liegen, ja ein Mitschaffen der Dinge, weil es im Mitleben,

in der Teilnahme am göttlichen Leben enthalten ist!

Wir ziehen nun daraus den Schluß, ohne den die soeben erläu-

terte Lehre keinen Lehrbegriff der Erkenntnis bildete: D i e s e s

h ö c h s t e m y s t i s c h e E r k e n n e n i s t d i e V o r a u s -

s e t z u n g f ü r j e d e s a n d e r e E r k e n n e n t i e f e r e r

S t u f e .

Wenn Eckehart dies nirgends eigens ausspricht, so doch nur, weil

es ihm selbstverständlich war. Die begriffliche Ausarbeitung seiner

Lehren stand ihm ja nirgends im Vordergrunde seiner Bemühungen.

Die mystische Erkenntnislehre Eckeharts steht nicht so allein da,

wie es scheinen möchte. Finden wir doch bei P l a t o n Ähnliches

in dem bekannten Mythos, wonach die Seele in ihrem Vorleben

die Ideenwelt g e s c h a u t habe (Phaidros), und alles Lernen nur

eine Wiedererweckung dieser Schau, ein „Erinnern“ sei (Anamnesis-

lehre im „Menon“). Meister Eckehart entwickelt aber keinen My-

thos, sondern gibt eine, so dürfen wir richtig sagen, nüchterne Ana-

lysis der mystischen Erfahrung, eine Analysis, welcher nicht zu

widersprechen ist. — So auch andere mystische Lehren, wie sie

z. B. in den Upanishaden enthalten sind, worauf wir aber hier nicht

eingehen wollen.

Immer macht uns die Gleichheit der mystischen Lehren aller Zei-

ten erstaunen.