E r s t e r A b s c h n i t t
Lehrgeschichtliche Vorbemerkungen
E s will nicht die Aufgabe dieses Buches sein, eine Geschichte des
Gottesbegriffes vorzutragen. Wir schicken den folgenden Unter-
suchungen lediglich eine kurze Hervorhebung dreier Hauptarten,
den Gottesbegriff zu erfassen, voraus. Wir übergehen dabei ebenso
die begrifflichen Unterschiede von Theismus, Pantheismus und
Deismus
1
, wie jene zwischen Platon, den Neuplatonikern, Augusti-
nus, Scotus Eriugena und andere
2
.
I. Gott, das allervollkommenste Wesen
Als die erste grundsätzliche Auffassungsweise möchten wir jene
betrachten, die davon ausgeht, Gott als das allervollkommenste, als
das denkbar höchste Wesen zu bestimmen, wofür A n s e l m als
Beispiel angeführt werden kann
3
. Damit fallen alle Seinsbeschrän-
kungen weg, nicht nur Raum, Zeit, Sinnlichkeit, sondern auch das
zerlegende Denken, jede Art von Teilsein eines anderen, von äuße-
rer Vielheit und von Zufall, wogegen die Ganzheit, das Umfassen
aller Teile, an dessen Stelle tritt. Ferner fällt auch jede Art von
Leiden und Erleiden weg, / wodurch in ontologischer Hinsicht
jedes Zurückbleiben einer Möglichkeit ausgeschlossen erscheint, und
Gott zur lauteren Wirklichkeit, zum actus purus wird. Der Begriff
der lauteren Wirklichkeit ist aber nicht der Ausgangspunkt, sondern
das Ergebnis dieses Gottesbegriffes.
1
Vgl. oben S. 63 ff.
2
Vgl. Johann Ulrich Wirth: Die spekulative Idee Gottes, Stuttgart 1845. —
Conrad Elser: Die Lehre des Aristoteles über das Wirken Gottes, Münster i. W.
1893. — Franz Anton Staudenmaier: Die Lehre von der Idee, Gießen 1840 (Stau-
denmaier gibt zugleich eine Geschichte der Gotteslehre).
3
Vgl. Anselmus: Proslogion,
2:
„summum omnium, quae sunt“, „id quo
maius cogitari nequit“.