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Diese Betrachtung führt, da sie vom Sein Gottes ausgeht, zum ontologischen
Gottesbeweis, der aus dem Begriffe des Seins auch das Sein selbst folgert
1
.
II. Gott als lautere Wirklichkeit
Im Grunde gibt es keinen anderen Gottesbegriff als jenen, der
Gott als das höchste und vollkommenste Wesen denkt, und wäre es
in kindlichster Weise. Jedoch kann im Zusammenhange eines Be-
griffsgebäudes und in der begrifflichen Auseinandersetzung eine
andere Seite beherrschend hervortreten, der von Platon vorberei-
tete
2
, von Aristoteles entwickelte, geniale Begriff der lauteren
Wirklichkeit. Darum darf man sagen, daß die zweite grundsätzliche
Auffassungsweise der aristotelische Gottesbegriff darstellt, den die
Hochscholastik aufnahm und weiterbildete (doch soll von diesen
Weiterbildungen hier nicht geredet werden). Dieser Gottesbegriff
hat in der „lauteren Wirklichkeit“, actus purus,
άπλώς ενέργεια,,
sei-
nen Ausgangspunkt. Auch bei Anselm kommt es, wie wir sahen, zu
dieser Bestimmung, aber sie steht nicht in der Mitte der Lehre. Man
kann die aristotelische Gotteslehre in folgenden drei Hauptpunkten
wiedergeben:
1.
Gott ist lautere Wirklichkeit; in Gott ist nichts von Möglich-
keit (Potenz) zurückgeblieben, sondern immer schon alles verwirk-
licht. Diese Wirklichkeit ist vor der Welt, welche bloße Möglich-
keit ist und erst verwirklicht werden muß.
2.
Gott ist als lautere Wirklichkeit Denken. Gott kann nur das
Beste denken. Da er nur das Beste denken kann, aber nichts /
Besseres und Höheres, als er selbst ist, muß er sich selbst denken
3
.
3.
Der Welt gegenüber ist Gott der unbewegte
Beweger (πρώτου χι-
νοϋν αχίνητον).
Er bewegt die Welt nach der Art, wie der Liebende
von dem Geliebten bewegt wird.
In der Gotteslehre des Aristoteles fehlt der Schöpfungsbegriff als
ein ursprüngliches Element. In ihr ist streng genommen nur das
Erhaltungsverhältnis und Ordnungsverhältnis Gottes zur Welt be-
zeichnet.
1
Darüber siehe oben S. 106 f. und unten S. 156 ff.
2
Werner Jaeger: Aristoteles, Grundlegung einer Geschichte seiner Entwick-
lung, Berlin 1923, S. 410 ff.
3
Aristoteles: Metaphysik, XII, 7, 1072 b, 18 ff.