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sinnlich „anschauen“ und „denken“, wie später zu begründen sein
wird
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Im Leibe „erscheint“ die Seele, im Äußeren „erscheint“ das In-
nere, so pflegt man zu sagen. Aber der Satz: Das Innere „erscheint“
im „Äußeren“, heißt nicht, daß der Geist sich in die inneren Kam-
mern der Dinge hineinbegebe, daß er in die Dinge hineinschlüpfe.
Sondern er heißt, daß der Geist mit den vorstofflichen Wurzeln der
Dinge eine Verbindung, gleichsam einen „magnetischen Rapport“
eingeht und dadurch — also nur m i t t e l b a r — an der Ausglie-
derung der räumlich-stofflichen Welt Anteil nimmt. Er wandelt
den anorganischen Stoff zum organischen Leib, er sieht durch jenen
„Rapport“ wie durch ein Fernrohr (die Sinnesorgane!) in die Welt
hinein.
Wir werden in der Folge den Begriff der Gezweiung höherer
Ordnung noch mehrmals zu erörtern haben. Heben wir hier noch-
mals einen Hauptpunkt heraus, so können wir zusammenfassend
sagen:
In der Gezweiung einfacher Ordnung ist es Haupteigenschaft,
daß jedes Glied für das andere Seins-Grund wird (im ontologischen
Sinne: einander das Sein geben); in der Gezweiung höherer Ord-
nung werden beide Ordnungen schon ohne einander gedacht und
sind auch ohne einander wirklich: aber nicht in derselben Weise, in
der sie durch Verbindung mit- / einander sich selbst gegenseitig in
neuer Form, in neuer Bestimmtheit, in neuen Inhalten erzeugen.
Insofern heißt diese Gezweiung „höherer Ordnung“ oder Urge-
zweiung.
Geist und Stoff, sagten wir, sind aufeinander h i n g e o r d n e t .
Aber sie sind es nicht in jenem einfachen Sinne von Gegengliedern
gleicher Ebene, in welchem zum Beispiel Herz und Lunge oder die
Winkel eines Dreieckes einander ergänzen; vielmehr: einander
zuerst verneinend und dann erst durch diese Verneinung, durch die-
sen Gegensatz hindurch einander bejahend, gleichsam antwortend,
abstoßend wie Tag und Nacht, stehen Stoff und Geist als Urglieder
der Urgezweiung einander gegenüber. Der stoffliche Gegenstand
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Siehe unten Viertes Buch: Geisteslehre, S. 261 ff., und Sechstes Buch: Ideen-
lehre, S. 439 ff