E r s t e r A b s c h n i t t
Ein Blick auf die bisherige Auffassung des Geistes
I.
Die empiristische Auffassung
Nach empiristischer Auffassung besteht der Inhalt des Geistes aus
den Sinneseindrücken und ihren Ableitungen, die gewissermaßen
ihre „Sublimierungen“ sind. Was sich so an lust- und unlustbeton-
ten Vorstellungen und deren Ableitungen aller Art im Geiste findet,
bildet durch Zusammentreten und Auseinandertreten das geistige
Leben. „Nihil est in intellectu quod non fuerit in sensu“, nichts ist
im Verstande, was nicht in den Sinnen war
1
. Die „Gesetze“ des See-
lenlebens sind daher Gesetze jenes Zusammentretens und Auseinan-
dertretens und werden folgerichtig „Assoziationsgesetze“ genannt.
Die Psychologie wird zur sogenannten „Assoziationspsychologie“,
die in ihren zwei bekannten „Grundgesetzen der Assoziation“,
nämlich der Berührung und der Ähnlichkeit, die ersten entscheiden-
den Einsichten gefunden haben will. Wahrheit der Erkenntnis im
strengen Sinne ist bei dieser bloßen Mechanik von Vorstellungsver-
bindungen, wie überhaupt bei allem Empirismus, nicht möglich,
schon infolge des wechselnden Bestandes der Vorstellungen, das
heißt infolge des wechselnden Inhaltes aller Erfahrung. — Jede so
geartete Geisteslehre, sei sie im einzelnen wie immer abgewan-
delt, ist daher s e n s u a l i s t i s c h u n d s k e p t i s c h . Sie ist
aber im Grunde auch notwendig V o r s t e l l u n g s l e h r e , I n -
t e l l e k t u a l i s m u s . Den Vorrang vor allen Geistesinhalten
hat die Vorstellung, der abgeleitete / Sinneseindruck. Lust und
Unlust sowie alles übrige sind zuletzt nur Eigenschaften, die
der Vorstellung anhaften. Aus den Lust- und Unlust-„Gewichten“
1
Dieser Satz kommt allerdings schon in der aristotelischen Seelenlehre vor,
hat aber dort einen ganz anderen Sinn.