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Schritt des dialektischen Verfahrens („Thesis—Antithesis—Synthe-
sis“) beschlossen liegt. Wir übergehen diesen letzten Punkt hier, da
wir ihn später ausführlich behandeln werden
1
. Eine kurze Erläute-
rung der Hegelischen Geisteslehre wird dem Verständnisse der Auf-
gaben jeder echten Geisteslehre förderlich sein.
Um den Hegelischen Geistesbegriff richtig zu verstehen, muß man von Schel-
lings Naturphilosophie ausgehen, wonach der Geist, als Weltgeist, sich stufen-
weise in der Natur setzt, sich fortschreitend subjektiviert und im Menschen
schließlich zu sich selber kommt, zum Selbstbewußtsein gelangt. Von dieser über-
subjektiven Seite her muß man auch überall dort den Geist bei Hegel verstehen,
wo er nicht a u s d r ü c k l i c h den subjektiven Geist des Menschen behandelt.
Gott ist der absolute Geist, als solcher zugleich das absolute Subjekt (mit welcher
Bestimmung Hegel den Pantheismus zu vermeiden sucht)
2
. Der „We l t -
g e i s t “ i s t d a h e r i m S i n n e H e g e l s n i c h t a l s d e r W e l t e i n -
w o h n e n d z u v e r s t e h e n ( P a n t h e i s m u s ) ; vielmehr ist zu begreifen:
daß alles Geschehen in der Welt die Bestimmungen des Geistes an sich tragen
solle, daß alles Geschehen nach geistiger Art bestimmt sei, auch das Natur-
geschehen — wie das Schellings Naturphilosophie, allerdings nicht mit vollem
Erfolge, versuchte —, nicht nur das Geschehen in Gesellschaft und Geschichte. /
Der Geist als Weltgeist (Gott, Inbegriff der Kategorien, die allem Geistigen
immanent sind) ist zu unterscheiden von dem subjektiven Geiste des Menschen
oder dem vernünftigen Geiste, dem menschlichen Denken. Der Geist als das
Absolute ist der Inbegriff seiner Selbstdarstellung in Natur, Gesellschaft und Ge-
schichte. Der vernünftige Geist des Menschen oder das Denken ist die höchste
Stufe des Selbstbewußtseins. Seine Hauptbestimmungen sind: S e l b s t s e t z u n g
u n d B e i - s i c h - s e l b s t - S e i n . Was „Selbstsetzung“ heiße, nämlich Spon-
taneität, erklärten wir oben. Das „Bei-sich-selbst-Sein“ heißt, daß das denkende
Ich sich in seinen Setzungen, seinen Gedanken, Gefühlen usw. nicht verliert, daß
es immer es selbst bleibt, während es die Bestimmungen des Objektes (in der
Form seiner eigenen Setzungen) in sich aufnimmt. Indem das Ich sich in seinen
Setzungen nicht verliert, sondern seine Einheit bewahrt, bei sich selbst bleibt, ist
es zugleich frei. Indem das Ich sich selbst denkt (Selbstbewußtsein) und zugleich
seinen Gegenstand, ist das Ich einerseits das Einzelne, andererseits doch alles Vor-
gestellte, Gegenständliche und dadurch also z u g l e i c h E i n z e l n e s w i e
A l l g e m e i n h e i t . Im Denken ist das Einzelne allgemein; das Einzelne und die
Subjektivität kehren damit wieder in die Allgemeinheit zurück. Denken ist Einheit
des Subjektiven und Objektiven. — Wir können damit zu den beiden Haupt-
bestimmungen des Geistes: Selbsttätigkeit und Bei-sich-selbst-Sein (das zugleich
Freiheit ist) noch als dritte hinzufügen: die Einerleiheit von Einzelheit und All-
gemeinheit, von Subjektivität und Objektivität, die darin liegt, daß der Einzelne
sich im Denken verallgemeinert.
1
Siehe unten S. 291 ff.
2
Vgl. darüber unten die Darlegungen in der Ideenlehre: Sechstes Buch, S. 430, wo
auch die weiteren Nachweisungen für die folgende Darstellung. — Im allgemeinen
vgl. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, in
2. Auflage neu herausgegeben von Georg Lasson, Leipzig 1905, §§ 413, 533 ff.
(= Philosophische Bibliothek, Bd 33).
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