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Der Verfasser dieses Buches hat in seiner „Kategorienlehre“ jene
Bestimmungen des Geistesbegriffes, die auf Selbstsetzung hinaus-
laufen, in der Form des Begriffes der „A u s g 1 i e d e r u n g“ dar-
gestellt, da die Ausgliederung kein mechanischer Vorgang ist, son-
dern aus sich selbst schöpft. Er fügte noch die Bestimmung der
R ü c k v e r b u n d e n h e i t hinzu
1
. Mit der „Rückverbunden-
heit“ ist der Geist als das in einem Höheren, zuletzt in Gott, Ent-
haltene erkannt. Der Glaube ist das Zeugnis dieses Enthaltenseins.
Reiner Glaube wird dadurch zum letzten Wesensgrund des Geistes,
er, der anfangs unbewußt, unausge- / formt (nackte Andacht), erst
mit Hilfe der späteren Setzungsformen des Geistes, des Denkens und
der Kunst, zu entwickeln ist. Damit ist auch jene höchste Ganzheit,
in welcher der Geist rückverbunden ist, Gott, als sein höchstes Z i e l
u n d E n d e gesetzt. Zugleich ist in diesem Geistesbegriffe (neben
der Selbstsetzung oder Ausgliederung) mit der Rückverbundenheit
die unmittelbare Berührung mit dem Höheren, das Schauen, die
Intuition, aufbewahrt. — Doch soll mit diesen Bemerkungen der
folgenden Darstellung der Geisteslehre nicht vorgegriffen werden.
Überblickt man die idealistische Geisteslehre der Jahrtausende,
so zeigt sie eine erhabene Übereinstimmung in der Grundauffassung
des Geistes. Kein Wunder, denn der Geist kennt sich selbst von An-
beginn, wenn er auch, wie schon Heraklit sagte, seine Tiefen nie
ermißt
2
. Die größten Verdienste seit Aristoteles aber erwarb sich
der deutsche Idealismus um die Bestimmung des Geistes durch den
Begriff der Selbstsetzung. Kann ja auch kein philosophischer Idealis-
mus aufgebaut werden, ohne immer wieder einen neuempfundenen,
vertieften Geistesbegriff dem flachen, aber mächtig gewordenen
Empirismus und Materialismus der neueren Zeiten entgegen zu
halten.
Aber bei aller hohen Anerkennung der Leistung des deutschen
Idealismus haben wir doch zweierlei vom Standpunkte des Ganz-
heitsbegriffes daran auszusetzen. Erstens ist, soweit das „dialektische
Verfahren“ in Frage kommt, der Begriff einer nachträglichen Syn-
1
Vgl. oben S. 38 ff. und mein Buch: Kategorienlehre, 2. Aufl., Jena 1939,
S. 95 ff. und 232 ff.
2
Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, Berlin 1922, Frag-
ment 45.