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wird dann auch der Wille erklärt (Begriff des mechanisch wirksa-

men „Motivs“ oder „Antriebes“), indem er nämlich als durch das

mechanische Uberwiegen von Lust oder Unlust bestimmt gedacht

wird, also gewissermaßen als durch „Gewichte“ der Gefühlsbetont-

heiten bedingte Bewegung der Vorstellungen. Dies ist der merk-

würdige Begriff eines willenlosen Willens oder mechanischen Wil-

lens, der sogenannte Determinismus. — Die Richtung nennt sich

öfters stolz eine „Psychologie ohne Seele“, sie ist aber auch im

buchstäblichen Sinne eine Geisteslehre ohne Geist. Denn wenn alles

in Vorstellungsmechanik aufgelöst wird, wo sollte der Geist noch

seine Stelle haben?

II. Die idealistische Auffassung

Unendlich tiefer blickt der alte wie der neue Idealismus. Schon in

den indischen U p a n i s c h a d e n wird das „Sich-selbst-Denken“

oder „Sich-selbst-Anschauen“ als das tiefste Wesen des Geistes be-

zeichnet. Dieses Sich-selbst-Denken ist ein Sich-selbst-Verwirklichen

(im Selbst-Denken)

1

. Damit ist aber Selbstbewegung, Spontanei-

tät, aus sich selbst entspringende Aktivität als grundlegendes Merk-

mal des Geistes bezeichnet.

Bei P l a t o n u n d A r i s t o t e l e s wird der Geist, der

voύς,

aus dem übrigen Seelenleben herausgehoben. Bei Platon ist der

voύς

der höchste Teil der Seele, er schaut allein das wahrhaft Seiende

2

,

die Idee. Denselben Begriff des einblickenden, schauenden Denkens,

verbindet damit auch Aristoteles, bezieht aber das zerlegend fort-

schreitende (diskursive) Denken mit ein, so daß bei ihm der

voύς

der denkende Teil der Seele überhaupt / ist

3

. Aristoteles macht

1

Vgl. Paul Deussen: Sechzig Upanishad’s des Veda aus dem Sanskrit

übersetzt,

I

.

Aufl., Leipzig 1905, Chandogya-Upanishad, z. B. S. 414, 416 ff.

2

Platon: Phaidros oder vom Schönen, in der Übersetzung von Friedrich

Schleiermcher neu herausgegeben von Curt Woyte, Leipzig 1915, 247 c (= Re-

clams Universalbibliothek, Bd 5789).

3

Aristoteles: Nikomachische Ethik, übersetzt und erläutert von Eugen Rolfes,

2. Aufl., Leipzig 1921, VI, 6, 1140 b, 31, 1141 a, 7 (= Philosophische Bibliothek,

Bd 5); Drei Bücher über die Seele, übersetzt von Adolf Busse, Leipzig 1911, III, 4,

429 a, 23, 430 a, 10; III, 5, 2; III, 7 und öfter. (= Philosophische Bibliothek,

Bd 4). — Daneben bedeutet bei Aristoteles

voύς

und

voύς

das Denken über-

haupt, nicht nur das unmittelbar schauende (intuitive), sondern auch das fort-