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m u s g i b t . Der Mechanismus ist nur ein Näherungsbegriff, eine
Unterstellung, wie der mechanische Ursächlichkeitsbegriff über-
haupt, der vom Standpunkte der Ganzheitslehre nur als Mittel der
Erforschung der Glieder von Ganzheiten entfernter Ordnung (die
daher in ihrem Ganzheitszusammenhange unverständlich ist) er-
scheint
1
.
Nach der bisher begründeten Auffassung kann auch die Ma-
t e r i e n i c h t a l s d e r T r ä g e r d e r V i e l h e i t b e -
t r a c h t e t w e r d e n . Dies war ein Gesichtspunkt, der sich von
der Platonischen Ideenlehre und der Aristotelischen Formenlehre
her darum ergab, weil hier „Idee“ und „Form“ die Einheit darstell-
ten, während die Materie die Individuation bedingte. Das wurde
seither in der Philosophie mehr oder weniger festgehalten. — Aus
der Ganzheitslehre dagegen folgt, daß die Individuation schon in der
Ausgliederung liegt. Die Ausgliederung hat die Individuation in
sich selbst, da alle ihre / Glieder einzig und unwiederholbar sein
müssen. Es bedarf keiner eigenen Vermannigfaltigungsursache, die
von außen herzukommen müßte. Auch liegt die Vielheit schon im
Geiste selbst. Denn der Geist, der nicht Mannigfaltiges zum Inhalte
hat und nicht Mannigfaltiges denkt, ist nicht Geist. Geist weist auf
Sinnliches, auf Vielheit
2
.
Da wir in Stoff, Zeit und Raum überall das Vor-Natürliche, das
sich Setzende sehen, können wir auch die Materie nicht als das
Stockige, das Tote, das sich schlechthin zerstückt Habende gelten
lassen. In der stofflichen Welt herrscht vielmehr nach Maßgabe die-
ser Selbstsetzung — nur in anderer Weise als in der geistigen Ganz-
heit — die R ü c k n a h m e u n d R ü c k v e r b u n d e n h e i t .
Was sich in der Natur zeit-räumlich und stofflich setzt, ist nicht ein
für allemal gesetzt, sondern wird unaufhörlich zurückgenommen
und unaufhörlich neu gesetzt, gleichwie es bei der geistigen Ganz-
heit der Fall ist. Besonders ist es der Chemismus, der deutlich zeigt,
daß die Materie nicht so festgeronnen (fixiert) ist, daß sie nicht der
Rücknahme fähig wäre. Von diesem Gesichtspunkte aus sind insbe-
sondere die beiden materialistischen Grundirrtümer der mathema-
tischen Physik, die beiden Erhaltungssätze („Erhaltung der Mate-
1
Vgl. meine Kategorienlehre, 2. Aufl., Jena 1939, S. 340 ff.
2
Siehe oben S. 177 ff.