V i e r t e r A b s c h n i t t
Der Vorrang der Zeit vor dem Raume
Wird die Zeit in ihrer geistigen Bedingtheit gewürdigt, so er-
kennt man auch, daß sie den Vorrang vor dem Raume hat. Der
Geist hat kein Raumschema, wie uns feststeht
1
, aber die Zeit
bringt er in sich selbst hervor, die Zeit ist ihm nichts Fremdes. Da
der Geist vor dem Nicht-Geistigen ist, so gilt: Zeit ist vor Raum,
die Zeit hat den Vorrang vor dem Raume.
Merkwürdigerweise haben die idealistischen Zeitlehren diesen
Vorrang nicht erkannt. Bei Platon bleibt die Frage unentschieden,
man könnte vielleicht sogar den Vorrang der Zeit aus seiner Lehre
herauslesen. Bei Aristoteles fanden wir einen Vorrang des Raumes
2
.
Ihm folgen seine Schulen. Im deutschen Idealismus zeigt sich das-
selbe. Schelling war hier maßgebend. Bei Schelling schlägt das Abso-
lute zuerst in Materie um, deren erstes Stadium der Raum ist, auf
ihn erst folgt die Zeit und die Materie, die dann ihren weiteren
Stufengang nimmt
3
. Ähnlich wie Schelling so auch Hegel. Der
Raum wird vor der Zeit behandelt, die Zeit von dem Raume ab-
geleitet
4
. — Bei Baader erscheint Zeit vor Raum, doch ist seine
Stellungnahme nicht immer klar.
Da aber die geistigere Natur der Zeit im Vergleiche zu jener des
Raumes auch sonst feststeht, kann auch an dem Vorrange der Zeit
vor dem Raume um so weniger ein Zweifel bestehen.
/
1
Siehe oben S. 324 f.
2
Siehe oben S. 333 f.
3
Schelling: Darstellung des Naturprocesses (1843), Sämtliche Werke, Abt. 1,
Bd 10, Stuttgart 1861, S. 308—314 und öfter.
4
Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse,
in 2. Auflage neu herausgegeben von Georg Lasson, Leipzig 1905, §§ 257 und
258 ( = Philosophische Bibliothek, Bd 33).