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Aus den orphischen Urworten ist ein Spruch erhalten, der deut-

lich den Gedanken der Ideenlehre ausspricht: „In den Augen des

Zeus, des Vaters, des Königs, wohnen die unsterblichen Götter und

die sterblichen Menschen, alles was ist und was sein wird.“

1

Bedenken wir diese Zeugnisse recht, so müssen wir zu dem

Schlusse kommen: P l a t o n h a t d i e I d e e n l e h r e n i c h t

e r f u n d e n . Er fand sie sowohl im religiösen wie im philosophi-

schen Denken der Zeit bereits vor. S e i n e u n v e r g ä n g l i -

c h e L e i s t u n g b e s t a n d a b e r d a r i n , d a ß e r s i e

a l s e r s t e r b e g r i f f s m ä ß i g i m Z u s a m m e n h ä n g e

e i n e s p h i l o s o p h i s c h e n L e h r g e b ä u d e s b e g r ü n -

d e t e .

Die Vorstellung schaffender Gesichte, vorgeordneter Wesen ist ein

Urbestand religiösen Denkens — und eben darum niemals erfun-

den, eben darum von niemandem neu entdeckt und gefunden! Was

ist denn das Um und Auf des metaphysischen Denkens, des reli-

giösen Erlebens anderes als das, eine höhere, / eine übersinnliche

Wesenheit zum Grunde der sinnlichen Wesenheit zu machen? Im

religiösen und metaphysischen Denken sind, indem es übersinnliche

Potenzen setzt und sie als Gesichte erlebt, „Ideen“ überall schon

mitgegeben. — Auch dem künstlerischen Schaffen liegt die Schau

der Idee als der lebendigen Urgestalt, der lebendig schaffenden, über-

sinnlichen Urmacht von Anbeginn im Blute. Sie liegt schon in dem

Erlebnis der Eingebung beschlossen. Wo echte Kunst ist, ist auch Er-

lebnis der Idee

2

.

2.

Die r e l i g i ö s e n W u r z e l n d e r p l a t o n i s c h e n

I d e e n l e h r e

Es zeigt sich auch, daß sich die religiösen und die ontologisch-

metaphysischen Wurzeln der Platonischen Ideenlehre in den Werken

Platons deutlich nachweisen lassen. Daher auch von dieser Seite her

1

Vgl. Otto Willmann: Historische Einführung in die Metaphysik, Freiburg

1914, S. 107.

2

Man erinnere sich der Worte Goethes über die Eingebung, die oben in der

Geisteslehre angeführt wurden (siehe oben S. 211 f.).

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