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Einleitung

Rechtfertigung einer Gesellschaftsphilosophie neben

den gesellschaftlichen Einzelwissenschaften

Die Philosophie ist die Mutter aller Einzelwissenschaften. Sie

gebar sie aber nicht einmal und trennte sich dann von ihnen, son-

dern gebiert sie immer noch. Denn die Philosophie ist ihre Mutter

nicht dadurch, daß sie nur unklar das Allgemeine erkennte, welches

später die Sonderwissenschaften durch ihren Tatsachenstoff erst fest

bestimmten; vielmehr dadurch, daß sie vom Ganzen zu den Glie-

dern hinuntersteigt, aus dem Allgemeinen das Besonderte nicht nur

bestimmt, sondern, was viel mehr ist, es aus dem Allgemeinen erst

verständlich macht, erst begründet und so die grundlegenden Be-

griffe für die Sonderwissenschaften liefert.

Wenn dagegen in den gesellschaftlichen Wissenschaften heute die

positivistische Meinung, sie hätten von sich aus einfach eine „Zer-

gliederung der gesellschaftlichen Erfahrung“ durchzuführen und

mit der Philosophie nichts weiter zu tun, geltend gemacht wird, so

ist dies von Grund auf falsch. Zur „Zergliederung der gesellschaft-

lichen Erfahrung“ bedarf es mehr als bloßen Augenscheins! Alle

derartige Zergliederung ist auf einen B e g r i f f der geistigen Er-

scheinungen, um die es sich jeweils handelt, angewiesen. Ein solcher

ist aber nur aus dem Gesamtganzen der menschlichen Geisteswelt

und des darin enthaltenen Einzelgeistes möglich. Was Sittlichkeit

und Recht, Staat und Wirtschaft sei, kann die erfahrungsmäßig

vorgehende Sittenlehre, Rechtslehre, Staats- und Wirtschaftslehre,

auch nicht die Staatsgeschichte, Kunstgeschichte, Rechtsgeschichte

usw. von sich aus bestimmen: Die Philosophie allein kann dies,

indem sie von dem Ganzen des Geistes ausgeht und seine Einzel-

erscheinungen von diesem Ganzen aus begreift.

Freilich ist es möglich, vom bloßen Sprachgebrauche ausgehend

z. B. in einen Gerichtssaal, in einen Großbetrieb, eine Gesellig-

keitsveranstaltung zu gehen und dort Erfahrungen zu machen. Aber