48
[50/51]
e. R ü c k b l i c k a u f S c h e l l i n g s G e s c h i c h t s p h i l o s o p h i e
Schelling lenkt den Blick auf den dunklen Grund des Seins, auf
das Grauenhafte der Natur und auf das Tragische im Geiste. In den
Weltaltern spricht er von einem „Gott, der über Schrecken thront“.
Das Bild der Geschichte, das Schelling entrollt, ist weder ein Reich
der Natur, noch ein Reich der Gnade (Reich Gottes); sondern ein
Reich des Menschen, ein Mittelreich. In diesem Mittelreiche erst
kann die Idee des Mittlers Bedeutung empfangen. Dem gemäß ge-
hört für Schelling nicht nur die menschliche Freiheit und natürliche
Notwendigkeit, sondern auch die göttliche Einwirkung zur Ge-
schichte, die Vorsehung. Geschichte ist ferner: das Nacheinander-
Hervortreten der göttlichen Potenzen, der Potenzen der idealen
Welt in der realen. (Ähnlich ja auch jene Versuche, die eine Zeit des
Vaters, des Sohnes, des Geistes annahmen.) Daraus folgt endlich der
Begriff
einer
ü b e r s i n n l i c h
v o r g e b i l d e t e n
G e -
s c h i c h t e .
Ewig bewundernswert wird Schellings tiefsinnige Leistung, die
einsam in der Geschichte der Philosophie dasteht, bleiben. Die große
Frage, die sich hier auftut, lautet aber unseres Ermessens: Ist eine
übersinnliche Geschichte dem menschlichen Denken überhaupt er-
schwinglich? Setzt die zergliedernde Betrachtung des Urseins, der
Urpotenzen, mit einer bloß grammatisch-logischen Einstellung
1
tief
genug an? Und noch mehr: läuft die Vorstellung jenes „logischen"
Urgeschehens in Gott
2
, die Schelling entwirft, nicht zuletzt auf einen
Naturvorgang in Gott hinaus? Wenn sich in Gott, damit er „Herr
des Seins“ werde, eine transzendente Geschichte begeben muß, dann
muß man fragen, ob nicht das Höchste des Gottesbegriffes preis-
gegeben wurde.
Schellings ontologische Zergliederung der „Prinzipien“ oder »Po-
tenzen“, auf der alles beruht, litt aber schon bei ihrem Ausgangs-
punkte an einem Mangel, nämlich an seiner Bestimmung des V e r -
h ä l t n i s s e s v o n W e s e n u n d D a s e i n . Die Richtigkeit /
der grundsätzlichen Trennung beider durch Schelling vermögen wir
nicht anzuerkennen. Wesen und Wirklichkeit „Was es ist“ und „Daß
es ist“ sind keine grundsätzlich voneinander unabhängig denkbaren
1
Siehe oben S. 44.
2
Schelling: Sämtliche Werke. Bd 13. S. 121.