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zu sein“
1
. — „In der Natur geschieht nichts Neues unter der
Sonne... Nur in den Veränderungen, die auf dem geistigen Boden
hervorgehen, kommt Neues hervor“
2
. „Was der Geist will ist, sei-
nen eigenen Begriff zu erreichen“
3
.
Die M i t t e l d e r W e l t g e s c h i c h t e sind: Die Volksgeister, die Leiden-
schaften und die großen Männer.
Nicht der allgemeine Weltgeist tritt in der Weltgeschichte auf, sondern die
V o l k s g e i s t e r . Volksgeist ist eine besondere Bestimmtheit des geschichtlich
Wirksamen, eine besondere Bestimmtheit des Prinzips der Freiheit. Volksgeist
ist endliche Form des Weltgeistes. Stets ist es ein jeweils führender Volksgeist,
der die Weltgeschichte bestimmt; er ist der jeweilige Träger einer Entwicklungs-
stufe des Weltgeistes. Um ihn versammeln sich alle anderen Volksgeister. Sein
Wille ist der jeweils absolute Wille. „Gegen diesen absoluten Willen ist der
Wille der anderen besonderen Volksgeister rechtlos“
4
. Daher: „Die Welt-
geschichte ist das Weltgericht“ — jeder Volksgeist wird nach seiner Leistung auf
jener Stufe der Geschichte, auf der er tätig war, beurteilt.
Die B e s o n d e r h e i t des einzelnen Menschen, seine „Partikularität“ wür-
digt Hegel durch sein berühmtes Lob der Leidenschaften
5
. Die Weltvernunft be-
nützt diese Leidenschaften für ihre Zwecke. „ D a s i s t d i e L i s t d e r V e r -
n u n f t z u n e n n e n , daß sie die Leidenschaften für sich wirken läßt, wobei
das, durch was sie sich in Existenz setzt, einbüßt und Schaden leidet
6
.“ — Mag
diese Formulierung nicht glücklich sein, zu dem grundsätzlichen Einwande, Hegel
opfere damit die Persönlichkeit dem unpersönlichen Allgemeinen auf (so unter
anderen der jüngere Fichte) gibt sie keinen hinreichenden Anlaß. Denn sie muß
nicht mehr sagen, als daß der Einzelne im Ganzen als G l i e d enthalten sei. Und
das ist die Wahrheit. (Der rechte Einwand dieser Art müßte sich gegen das dia-
lektische Verfahren richten.)
Die g r o ß e n M ä n n e r sind nach Hegel die „Geschäftsführer des Welt-
geistes“, welche tun, „was an der Zeit ist“
7
. Durch sie hindurch wirkt der meta-
physische Grund der Geschichte. Von Napoleon in Jena sagte Hegel: „Den Kai-
ser, diese Weltseele, sah ich durch die Stadt. .. reiten.“ / — Vor Hegel aber hat
schon F i c h t e den großen Führer als den Weisen, den „Gelehrten“, gepriesen,
welcher die Ideen schaut und sie durch Vermittler (Erzieher, Staatsmänner, Be-
amte) dem Volke weitergibt
8
.
1
Hegel: Philosophie der Geschichte, S. 42.
2
Hegel: Philosophie der Geschichte, S. 95.
3
Hegel: Philosophie der Geschichte, S. 97.
4
Georg Friedrich Wilhelm Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissen-
schaften im Grundrisse (1817), § 55 a; in 2. Aufl. neu herausgegeben von Georg
Lasson (= Philosophische Bibliothek, Bd 33).
3
Hegel: Philosophie der Geschichte, S. 66 ff.
6
Hegel: Philosophie der Geschichte, S. 70.
7
Hegel: Philosophie der Geschichte, S. 67.
8
Johann Gottlieb Fichte: Reden an die deutsche Nation (1808), in: Fichtes
Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, herausgegeben von Hans Riehl, Teil 1
(= Die Herdflamme, Bd 16), Jena 1928; Drei Reden über den Gelehrten, in:
Fichtes Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, herausgegeben von Hans Riehl,
Teil 2 (= Die Herdflamme, Bd 17), Jena 1929.