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Dazu kommt Hegels L e h r e v o m K r i e g e als einem gewaltigen Bewe-
ger der Geschichte und seine L e h r e v o m G a n g d e r G e s c h i c h t e . „Die
Entwicklung ist... nicht das harm- und kampflose, bloße Hervorgehen .. . ,
sondern harte, unwillige Arbeit gegen sich selbst . . Hegel unterscheidet d r e i
S t u f e n d e r W e l t g e s c h i c h t e , (a) Das Versenktsein des Geistes in die
Natürlichkeit; (b) das Heraustreten in das Bewußtsein der Freiheit; (c) die Er-
hebung aus der besonderen Freiheit in die Allgemeinheit des Geistes
2
. „Die
Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit“...
3
. Hegel schrieb
in der „Enzyklopädie“: „Daß in dem Gange des Geistes (und der Geist ist es,
der nicht nur ü b e r der Geschichte wie über den Wassern schwebt, sondern in
ihr webt und allein das Bewegende ist) die Freiheit, das ist die Wahrheit sei, da
der Geist Bewußtsein ist, oder mit anderen Worten, daß Vernunft in der Ge-
schichte sei, wird teils wenigstens ein plausibler Glaube sein, teils aber ist es Er-
kenntnis der Philosophie“
4
. — Während in der Zergliederung des Ganges der
Geschichte der Begriff der Freiheit ein mehr politisches Gepräge annimmt, ist es
hier die Freiheit als reiner Begriff des Geistes, als Wesen des Bewußtseins, was
Hegel ausdrücklich hervorhebt. Dieser Widerspruch bleibt ungeklärt.
Der Weg dieses Fortschrittes ist der folgende: Die Orientalen wissen nur, daß
Einer frei ist; die Griechen und Römer, daß einige frei sind; erst die Germanen
(die im Christentum, zunächst in der Religion, später erst in den Lebensgestal-
tungen zur Erkenntnis kamen) wissen, daß alle frei sind, daß der Geist an sich
und überhaupt frei ist
5
. Auch da war vom Prinzip zu seiner Anwendung noch
ein weiter Weg. Daher ist Geschichte der Gang der Befreiung des Geistes, in
dem er zu sich selbst kommt. Anfang der Geschichte ist der objektive Geist.
Ziel der Geschichte ist der absolute Geist, der Geist ist Endzweck der Geschichte.
Das Prinzip der geschichtlichen Entwicklung nimmt Hegel von der politischen
Seite her, also vom Staate her, nicht wie Schelling von der Religion. Hegel sagt
aber in seinen Vorlesungen über die Geschichte der / Philosophie: ihre Ge-
schichte sei „das Innerste der Weltgeschichte"
6
. Das dünkt uns kein Widerspruch.
Daß die Geschichte zuletzt doch als Staatengeschichte geschrieben wird, schließt
den Vorrang des Geistes nicht aus, wie sich in einem späteren Zusammenhange
zeigen wird.
Hegel behandelte nur, wie früher erwähnt, (subjektives) Recht, (subjektive)
Moralität, ferner Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staat als „objektiven
Geist“ und damit als dasjenige, was im eigentlichen Sinne G e s c h i c h t e hat;
dagegen steht ihm der „absolute Geist“, nämlich Kunst, Religion, Philosophie,
eigentlich außerhalb der Geschichte. Diese absoluten Werte überragen gleichsam
die Geschichte, während sie zugleich das „Innerste der Weltgeschichte“ aus-
machen. — Auch hieran zeigt sich unseres Ermessens wieder die Schwierigkeit,
das dialektische Verfahren anders denn zeitlos anzuwenden.
1
Hegel: Philosophie der Geschichte, S. 97.
2
Hegel: Philosophie der Geschichte, S. 98.
3
Hegel: Philosophie der Geschichte, S. 53.
4
Hegel: Philosophie der Geschichte, § 549, Schluß.
5
Hegel: Philosophie der Geschichte, S. 52 f.
6
Georg Friedrich Wilhelm Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Phi-
losophie (1837), herausgegeben von Gerardus Johannes Petrus Josephus Bolland,
Leyden 1908, S. 1080.