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G e s c h i c h t e i s t G e i s t .
Dem Beweise dieses Satzes ist das ganze Buch gewidmet, die ge-
schichtliche Kategorienlehre insbesondere wird ihn erbringen. An
dieser Stelle geht uns nur die verfahrenmäßige Seite an.
Wenn Geschichte Geist ist, dann sind es andere Merkmale als
jene des physikalischen Mechanismus, der äußeren Natur, auch an-
dere als jene des (angeblich) biologischen Mechanismus der Lebe-
welt und endlich andere als jene des individualistisch-atomistisch
gedachten Mechanismus der Gesellschaft.
Welche sind die Erfordernisse der Geschichte als eines geistigen
Geschehens? Nach dem ganzheitlichen Lehrbegriffe des Geistes, den
wir an anderer Stelle entwickelten, ergeben sich die folgenden:
Alles geistige Geschehen hat einen zeitüberwindenden Einheits-
zusammenhang in sich (während das Naturgeschehen das Vergan-
gene nicht erhält); alles geistige Geschehen ist sinnvoll (während das
Blind-Notwendige der Naturabläufe nicht sinn- / voll gedacht wird);
alles geistige Geschehen hat Freiheit an sich (es hat nicht mechanisch-
mathematische Notwendigkeit und Eindeutigkeit); alles geistige
Geschehen hat Individualismus und damit sowohl Selbstbezogenheit
(Persönlichkeit) wie auch Einmaligkeit; alles geistige Geschehen hat
dabei als Glied im Rahmen des jeweils höheren Ganzen Allgemein-
heit an sich.
Es ist zu untersuchen, was aus diesen Merkmalen folgt, und wie
sich daraus der Geschichtsbegriff entwickeln läßt.
A.
Der g e s c h i c h t l i c h e Z u s a m m e n h a n g a l s z e i t -
ü b e r w i n d e n d e E i n h e i t : G e s c h i c h t e i s t , w o
V e r g a n g e n e s i n d e r G e g e n w a r t w i e d e r
w i r k s a m w i r d
Als Erfordernis geschichtlichen Geschehens ergab sich uns schon
früher das Erhaltenbleiben des Vergangenen in der Gegenwart. In-
sofern das, was früher einmal geschah, nicht gar nicht ist, sondern
in einem bestimmten Sinne noch immer fortbesteht, noch immer
wirksam bleibt, ist der Fluß der Zeit zum Stehen gebracht und eine
Einheit des Vergangenen und des Gegenwärtigen vorhanden. Daß
auch die Z u k u n f t als ein Vor-Gegenwärtiges sich erweist (z. B.