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stelle ihm nur gegenüber den Begriff „Tierheit“, „Engelheit“. Alle
vier Begriffe sind einzigartige Bestimmtheiten. Ebenso gilt: „Kaiser
Otto“ ist konkret anschaulich; „Staat“ (altes Deutsches Reich) ist
konkret anschaulich; „Kirche“ (zur Zeit Ottos) ist konkret anschau-
lich. Aber auch „dieser Mensch“; „die Menschheit“, „der / Staat“,
„die Kirche“ — sie alle sind in ihrer höchsten Allgemeinbestim-
mung zugleich Konkreta, sind anschauliche, geistige Gestalten.
Hieraus folgt ferner, daß auch im U r t e i l e , der gewöhnlichen
Ansicht der Logik zum Trotze, sich das Ineinander des Allgemeinen
und Einzelnen zeigen muß. Das „singuläre“ und das „generelle“ Ur-
teil, das die herkömmliche Logik grundsätzlich trennt (so daß Win-
delband
1
den Unterschied von idiographisch und nomothetisch da-
mit begründete) sind keineswegs grundsätzlich, sie sind nur stufen-
mäßig verschieden. Das mögen folgende Beispiele zeigen:
(1)
„singuläres“ Urteil: Dieser Mensch („Mensch“ = Allgemein-
begriff) ist Otto der Große (Einzelbegriff);
(2)
„generelles“ Urteil: Dieses Lebewesen (Allgemeinbegriff) ist
ein Mensch (niedrigerer Allgemeinbegriff, daher im Verhältnis zum
Höheren: Einzelbegriff).
Hier zeigt sich zuerst, daß b e i d e U r t e i l e v o n g l e i -
c h e m G e f ü g e s i n d , nämlich vom Gefüge „allgemein —
einzeln“, nämlich genauer vom Gefüge: höhere Ganzheit — niedere
Ganzheit; zweitens, daß sie daher beide ebensowohl „generell“ wie
„singulär“ sind; drittens zeigt sich wieder, daß „Allgemeinbegriff“
und „Einzelbegriff“ nur verhältnismäßig verstanden werden können.
„Mensch“ ist im ersten Beispiele allgemein, weil befassend, im zwei-
ten Beispiele konkret, weil befaßt.
Die Folgerungen gehen aber noch weiter. Es gibt in Wahrheit
keine allerunterste Ganzheit, die nichts mehr befaßte
2
. Daher gibt
es auch keinen wahrhaft letzten, keinen ( d u r c h a u s konkreten)
Singularbegriff. Das zeigt der Begriff Ottos I., des Großen, selbst: /
(3)
Otto der Große (Subjekt vieler Einzelhandlungen, daher,
1
Wilhelm Windelband: Präludien (1883), Bd 2, 7. und 8. Aufl., Tübingen
1921.
2
Die Begründung dafür liegt in einem anderen Satze meiner „Kategorien-
lehre“: „Nichts ist nur Mitte, nichts ist nur Umkreis“, der aber hier nicht ver-
folgt werden kann. Vgl. mein Buch: Kategorienlehre (1924), 2. Auflage, Jena
1939, S. 267 ff. [3. Aufl., Graz 1969, S. 245 ff.].