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D.
W e s s e n G e s c h i c h t e w i r d g e s c h r i e b e n , d i e
d e r K u l t u r o d e r d e s S t a a t e s , d e r A l l g e m e i n h e i t
o d e r d e r P e r s ö n l i c h k e i t ?
Mit dem Bisherigen ist auch schon die so viel umstrittene und
ohne die Begriffsmittel der Ganzheit unlösbare Frage beantwortet,
welche Geschichte zu schreiben sei: Kulturgeschichte oder politische
Geschichte? Geschichte von Allgemeinheiten oder von Persönlich-
keiten?
Da die Entfaltungsträger die jeweiligen Elemente der Ausgliede-
rungsordnung sind, so ist die Antwort eindeutig gegeben: Es ist die
Geschichte a l l e r Elemente der Ausgliederungsordnung zu schrei-
ben; aber nicht gleichgeordnet nebeneinander, sondern in jenem
Verhältnisse, das ihrer gliedhaften Stellung zueinander und ihrem
Range der Vor- und Nachordnung in der Ganzheit entspricht.
Demnach ist zu schreiben:
(a)
Die Geistesgeschichte oder sogenannte Kulturgeschichte. Diese
zerfällt wieder in die Geschichte der geistigen Teilinhalte oder /
Teilganzen als: Religionsgeschichte, Wissensgeschichte, Kunstge-
schichte, Sittengeschichte. Diese Geschichten stehen wieder unter-
einander im Verhältnisse der Vor- und Nachgeordnetheit. Den
höchsten Vorrang hat die Religions- und Philosophiegeschichte.
Schelling hat diesen unbedingten Vorrang am klarsten erkannt,
weshalb auch seine Geschichtsphilosophie über allen steht.
Daß die Geistesgeschichte selbst, sobald man sich auf sie be-
schränkt, nicht der ganze Inhalt der Geschichte ist, ja daß der Gip-
fel der Geschichte in der bisherigen Geschichtsschreibung — Thuky-
dides, Polybios, Ranke — staatspolitische Geschichte war, ist zuletzt
nur dadurch zu erklären, daß die Gezweiung zwar den Vorrang
vor dem Handeln hat, aber erst im Handeln, am meisten im orga-
nisatorischen Handeln, ihre Verwirklichung und Vollendung findet.
Daher tritt
(b)
die Anstaltengeschichte oder Organisationengeschichte nicht
einfach neben die Geistesgeschichte, sondern faßt sie in ihren Aus-
wirkungen (nämlich den Anstalten) zusammen. Insbesondere tritt
die Geschichte der höchsten organisatorischen Einheiten, der Staa-
ten, nicht nur ergänzend zur Geistesgeschichte hinzu, sondern voll-
endend. Denn in den höchsten Anstalten, in Staat und Kirche, er-