[194/195/196]
173
gen sind das Wahre an jenen sogenannten „Parallelen“ oder „Gleich-
läufigkeiten“, wie / sie sich oben am Beispiele der Staatengeschichte
und Stilgeschichte zeigten. Aber diese Entsprechungen lassen genau
soweit Freiheiten und Abweichungen, sowohl zeitlich wie inhalt-
lich, offen, als es der größeren oder geringeren geistigen und orga-
nisatorischen Geschlossenheit und Einheit einer Zeit entspricht.
Von jenen „Gleichläufigkeiten“, die Spengler aufstellte, sind sie
darum weit entfernt. — Diese Entsprechungen werden uns später
noch beschäftigen.
Ganz unbeabsichtigt ergibt endlich unsere obige Zergliederung der Staaten-
geschichte mittels der Kategorie „Gründung und Entfaltung“, daß die heutige
Lage Europas eine ernste ist. Der geschichtliche Werdegang Europas ist zu einer
Entscheidung gediehen, die nicht lange ausstehen darf, soll nicht das Chaos über
Feind und Freund hereinbrechen. Die nie dagewesene Verantwortung, die auf
dem jetzt lebenden Geschlechte lastet, geht daraus hervor. Der einzige Trost
dabei ist gerade diese Verantwortung. Droht doch das Chaos nicht nach einer
zwangsläufigen Entwicklung. Es g i b t k e i n e n z w a n g s l ä u f i g e n
E n t w i c k l u n g s g a n g i n d e r G e s c h i c h t e . Der Lauf der Geschichte
hängt nur von geistigen Anstrengungen, geistig-sittlichen Entscheidungen ab.
Diese Anstrengungen und Entscheidungen haben aber als geistige wieder gei-
stige, logische Voraussetzungen. Darum gibt es Logik in der Geschichte, aber
freilich voller Störungen, ganz wie im wirklichen logischen Denken. Logik
und geistige Freiheit bestehen zusammen in der Geschichte. Und darum sind
ihre Gerichte so furchtbar wie sinnvoll und gerecht.
IX. Stetigkeit und Bruch
Lehrsatz 6: Gründung und Entfaltung hat die Weise der ent-
sprechungsmäßigen Stetigkeit oder korrelativen Kontinuität; Fehl-
gründung und Fehlentfaltung hat die Weise der Stauung und des
Bruches oder der Diskontinuität; die Wiederherstellung oder Heils-
ordnung hat die Weise des Gegenbruches.
Unsere Untersuchungen erwiesen, daß sich die Kategorie der
„Gründung und Entfaltung“, als Weise der Umgliederung gefaßt,
auf die mannigfachste geschichtliche Wirklichkeit anwenden / läßt.
Durch die Möglichkeit, alle Fehlschritte in der Umgliederung mit-
einzubeziehen, erwies sie sich fähig, die reichste Fülle des Geschehens
und alle denkbaren Abweichungen der Geschichte in sich aufzu-
nehmen.