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rer in der Geschichte fast immer, den Bruch weiter zu treiben als
unbedingt nötig und besonders aber, ihn formell / zu Tage treten
zu lassen. Sie leugnen formell den Bruch und vollziehen ihn im ge-
heimen. Dadurch mindern sie seine Gefahren für die Sache noch
mehr wie für ihre Person.
C ä s a r vermied es, zum formellen Umsturz zu greifen. Soweit es irgend
möglich war, blieb er bei den herkömmlichen Formen und Wirklichkeiten
und bevorzugte die langsame Umbildung. — Der K a i s e r A u g u s t u s ,
Cäsars Nachfolger, sagt in seiner von ihm verfaßten Grabschrift, dem soge-
nannten „Monumentum Ancyranum“ (lateinische Inschrift aus dem Jahre
14 n. Chr., in dem Tempel des Augustus zu Ankyra [Angora]) von sich selbst:
„ . . . aber ich übernahm kein Amt, das gegen den Brauch unserer Väter ge-
wesen wäre", und behauptet von jeder der vielen Würden und Vollmachten,
die er dort aufzählt, sie sei ihm vom römischen Volke und Senate übertragen
worden! Der unumschränkte Herrscher lehnte es ab, auch nur lebenslänglicher
Diktator formell zu werden, und entschloß sich erst sehr spät, auf Lebenszeit
die Tribunengewalt anzunehmen. In dieser Grabschrift noch schmeichelt er auf
erschütternde Weise, die den Tiefstand der Zeit grell beleuchtet, dem Pöbel
und redet immer wieder von Geldern, die er ihm gespendet. — In der De-
m o k r a t i e dagegen liegt es am Tage, daß die Umstürzler mehr zerstörenden
als aufbauenden Sinn besitzen. Die Schreckenszeit in der französischen Revolu-
tion ist ein gültiges Bild für alle demokratischen Ausbrüche. Sie sind keines-
wegs der Gipfel des Mißglückten. Denn viel ärgere Dinge werden uns von
Thukydides vom Ende des peloponnesischen Krieges berichtet.
P l a t o n verschmäht es, die Verneinung des damaligen (demokratisch-
anarchistischen) politischen Lebens durch Gegenumstürze zum Ausdruck zu
bringen. Sein Werk „Die Gesetze“ zeigt den organischen und geistig zuberei-
teten Weg.
G o e t h e , S c h e l l i n g , H e g e l , d i e R o m a n t i k e r , waren den
plötzlich-gewaltsamen Änderungen im Tiefsten ihres Inneren abgeneigt. Goethe
bekannte von sich in den Venetianischen Epigrammen:
„Alle Freiheitsapostel, sie waren mir immer zuwider;
Willkür suchte doch nur jeder am Ende für sich.
Willst du viele befreien, so wag’ es, vielen zu dienen.
Wie gefährlich das sei, willst du es wissen, versuch’s.“
C h r i s t u s selber lehnte den politischen Umsturz ab: Gebet dem Kaiser,
was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. Christus lehnte auch den for-
mellen geistigen Abfall ab. Er lehrte im Tempel, er verwies, wo es ging, auf
die Schrift, auf die Propheten. Er lehrte nur das Auf- / bauende und schwelgte
nicht im Widerspruche zu dem Überkommenen. In der Bergpredigt heißt es:
„ D e n k e t j a n i c h t , i c h s e i g e k o m m e n , u m d a s G e s e t z
o d e r d i e P r o p h e t e n a u f z u h e b e n ; i c h b i n n i c h t g e k o m -
m e n s i e a u f z u h e b e n , s o n d e r n s i e i n E r f ü l l u n g z u b r i n -
gen.“
„ W e n n e u r e G e r e c h t i g k e i t n i c h t d i e d e r S c h r i f t g e -