I.
Der Einwand gegen die Philosophie aus der Vielheit
der Philosophien
Als unbesieglicher Einwand gegen die Philosophie gilt nach fast
allgemeiner Meinung der Hinweis auf die Verschiedenheit und den
unaufhörlichen Wechsel ihrer Lehrgebäude. Wenn eine Philosophie
der anderen widerspricht, wenn jeder Philosoph etwas anderes lehrt,
wem soll man dann folgen?
Was es nun auch mit diesem Einwand für eine Bewandtnis haben
möge, so viel liegt am Tage: er ist selber ein Zeichen der Verzweif-
lung an der Wahrheit, ein Zeichen der Zerrüttung des philosophi-
schen Bewußtseins einer Zeit. Eine gesunde Regung gegenüber der
Mannigfaltigkeit philosophischer Lehrmeinungen würde zum min-
desten ähnlich wie Schiller antworten, der in einem „Die Philo-
sophien“ überschriebenen Distichon sagt:
„Welche wohl bleibt von allen den Philosophien? Ich weiß nicht.
Aber die Philosophie, hoff’ ich, soll ewig besteh’n.“
So wie die philosophischen Lehrgebäude in der überlieferten Ge-
schichtschreibung sich darstellen, ist ihre schier unübersehbare Viel-
falt allerdings eine Verlegenheit. Sie äußert sich darin, daß nicht
einmal bei den elementaren Einteilungen der philosophischen Rich-
tungen, wie sie in den gebräuchlichen Lehrbüchern und im philo-
sophischen Fachschrifttume üblich sind, auch nur annähernde Ein-
heit herrscht. Im Gegenteil, es bietet sich ein geradezu chaotisches
Bild von Einteilungen und Gegensatzpaaren. Der Grund liegt haupt-
säch- / lich darin, daß man nicht von ganz bestimmten Grund-
fragen ausgeht, denen gegenüber alle anderen Verschiedenheiten
nur abgeleitete wären, sondern daß man vielmehr, in Ermangelung
anerkannter Grundbegriffe, die wechselnden Gegensätze, wie sie
sich in den verschiedensten Sondergebieten der Philosophie erge-
ben, so in der Seinslehre, Logik, Sittenlehre, mehr oder weniger ab-
getrennt von einander zur Grundlage nimmt. Während man zum
Beispiel in der Seinslehre „Dualismus — Monismus“ als Gegensatz-
paar zu nennen pflegt (je nachdem man Geist und Stoff als Seins-