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in seiner Zeit bestimmte Lehrgebäude mit bestimmten Denkauf-
gaben jeweils v o r f i n d e . So hatte z. B. Platon unmittelbar die
sophistisch-sokratische Begriffswelt vor sich, mittelbar die eleatisch-
heraklitische; Kant die Begriffswelt eines Hume und Locke einer-
seits, eines Leibniz und Cartesius andrerseits; Fichte, Schelling und
Hegel hatten das Begriffswerk Kantens zum notwendigen Ausgangs-
punkte. Der gute Sinn gar mancher Abweichungen der Lehrbegriffe
dieser Philosophen liegt demnach oft in der Bekämpfung der
Gegner. Wenn ein Haus brennt, dann ist das Löschen eine unerläß-
liche Arbeit, trotzdem löschen nicht aufbauen heißt. So auch in der
Geschichte der Philosophie. Wie jede Geistesgeschichte ist auch sie
zum Teil durch Verfall und seine Überwindung, durch Kämpfe, die
ausgefochten werden müssen, gekennzeichnet. Diese Kämpfe drän-
gen jeder Lehre eine bestimmte Gestalt, eine bestimmte Wendung
der Begriffe auf, damit auch, was äußerlich besonders wichtig ist,
der K u n s t s p r a c h e , der Namengebung. Allein unter be-
stimmten Formen und Namen kann sie jeweilig in der Geschichte
Erfolg haben. Gerade diese Formen und Namen erscheinen aber
späteren Zeiten oft befremdlich (wofür die angeführte Bezeichnung
„Realismus“ ein Beispiel bildet).
Unser Schluß ist, daß die Verschiedenheiten der philosophischen
Lehrgebäude sich schon dann wesentlich verringern, wenn man nur
hinter die zeitlich gebundenen äußeren Formen zurückgeht.
Auch darf man die l e h r h a f t e F o r m eines philosophischen
Begriffsgebäudes keineswegs mit dem Geist und Leben, die in ihm
wohnen, gleichsetzen! Daraus erklärt sich z. B. mancher Wechsel
der Schätzungen, welchen philosophische Lehrgebäude in der Ge-
schichte erfuhren, indem die Schätzung das eine Mal mehr dem
inneren Geiste, das andere Mal mehr der lehrhaften Form galt. He-
gels und Aristoteles’ Lehren zum Beispiel können entweder mehr
von der begrifflichen, lehrhaften Seite oder mehr von ihrem Lebens-
gehalte her beurteilt werden. Ähnlich kann man auch Kantens Lehr-
gebäude mehr von der wissenschaftlichen Seite oder mehr von sei-
nem sittlichen und sogar metaphysischen Gehalte her beurteilen.
Gerade bei der Beurteilung des lehrhaften Teiles einer Philosophie
muß man auch der Z e r r ü t t u n g d e r Z e i t e n gedenken,
in welcher sich manche zu entwickeln und bestimmte Gegner zu
bekämpfen hatte.