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Das gilt zuerst für jene, welche sich über „Gewaltsamkeiten“
mancher philosophischer Lehren, die sich angeblich über die Wirk-
lichkeit hinwegsetzen und später von den Erfahrungswissenschaften
widerlegt würden, beklagen. Dabei denkt man etwa an das „Speku-
lative“, „Willkürliche“, „Überschwengliche“ der Naturphilosophie
Schellings und Hegels oder der Ideenlehre Platons, die man als dem
Reiche der Fabel angehörig betrachtet oder der teleologischen Ver-
fahrenlehre des Aristoteles, welche die Menschheit lange gehemmt
habe und längst durch die Naturwissenschaften überholt sei. Bevor
man aber aus solchen Feststellungen — falls man sie gelten ließe —
Schlüsse zieht, muß man erstens vergleichen und zweitens, wie schon
angedeutet, die besondere Lage der Philosophie bedenken. Der Ver-
gleich mit anderen Wissenschaften, selbst den sogenannten exakten,
zeigt, daß auch diese oft zu widersprechenden Ergebnissen kommen.
Zum zweiten aber, und vor allem anderen muß man bedenken, daß
der Philosoph es nicht so bequem habe, wie manche Fachgelehrten
oder Künstler, die sich „von Fall zu Fall“ eine philosophische An-
sicht bilden, sich aber wenig darum bekümmern, die letzten Folge-
rungen zu ziehen und die letzten Z u s a m m e n h ä n g e herzu-
stellen. Diese Menschen philosophieren gewissermaßen ewig aus dem
Stegreife. Wer dagegen auf einheitliche Zusammenhänge, auf große
begriffliche Gesamtentwürfe hingewiesen ist, wie der Philosoph,
der kann auch erst von diesen aus die einzelnen Denkaufgaben er-
greifen und ist dann allerdings der Gefahr ausgesetzt, zuweilen
gewaltsam die Einheit herzustellen. Was verschlagen aber bei so
großen, die Bildungswelt ganzer Zeitalter umfassenden Begriffs-
zusammenhängen Irrtümer im Einzelnen? Wenn z. B. Schelling in
seiner Naturphilosophie den Magnetismus als wesensverschieden
von der Elektrizität behandelt, so teilte er damit nur den Irrtum
der Physik seiner Zeit. Für den großen Systemgedanken seiner Na-
turphilosophie, daß die Natur nicht als tot aufzufassen sei, welcher
ewig gültig bleibt, bedeutet das nichts. Um a u c h n u r d i e
I r r t ü m e r
d e r
P h i l o s o p h e n
r i c h t i g
e i n z u -
s c h ä t z e n , b e d a r f e s d e r G r ö ß e d e r M a ß s t ä b e .
Eine z w e i t e E i n s c h r ä n k u n g ist die Zeitgebunden-
heit der Philo- / sophien nach ihrer Außenseite, besonders der
Kunstsprache und der äußeren Fragestellung hin. Es ist ein wesent-
licher Punkt der geschichtlichen Beurteilung, daß jeder Philosoph