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159

3 . N a t u r p h i l o s o p h i e

Die Bestimmung des Wesens der Natur ergibt sich, wenn man den Abstand

des Apriorischen von der Natur feststellt. Bei Kant ist die Natur das, was übrig

blieb, wenn man die Denkformen (Kategorien) und die Anschauungsformen

(Raum und Zeit) abzieht, also der „Inhalt“ der Sinneseindrücke (ganz durch-

führbar ist ja diese Abstraktion nicht). Die Erörterung von Raum und Zeit, als

Formen der Sinnlichkeit, ergibt naturphilosophische Erörterungen apriorischer,

nicht empirischer Art. Insoferne stimmen sie mit Fichte zusammen. — Allerdings

ist bei Fichte die Natur durch Selbstbeschränkung des Ich (in der Entgegenset-

zung) gekennzeichnet, als Schranke, als Widerstand, an dem sich das Ich entfaltet.

Wie ungenügend diese Naturphilosophie auch sein mag, die Natur erhält damit

einen nahen Bezug zur Sittlichkeit und zum Geiste überhaupt. Einen solchen her-

zustellen, war Kant wenigstens in der „Kritik der Urteilskraft“ beflissen. — Auch

hier steht Sokrates nahe bei Fichte.

Zu einer geschlossenen G e i s t e s p h i l o s o p h i e kam es auf beiden

Standpunkten noch nicht. Die Übertragung der neuen Gesichtspunkte auf die ein-

zelnen geisteswissenschaftlichen Fächer war noch unsicher und uneinheitlich.

4 .

S i t t e n - u n d G e s e l l s c h a f t s l e h r e

In der Sittenlehre wird wie in der Wahrheitslehre von Kant wie von Fichte

die Nützlichkeit durch die apriorische Verbindlichkeit ersetzt. Der reine Gedanke

bestimmt das Handeln, daher er Gesolltheit in sich schließt. / Daher die gleiche

Freiheitslehre und der Primat der praktischen Vernunft in beiden Lehrgebäuden,

nur bei Fichte entschiedener als bei Kant. — Hier bilden beide mit Sokrates eine

Einheit

1

.

In der Gesellschaftslehre ist Kant infolge des subjektiven Apriori noch Individua-

list geblieben (trotz anderer Ansätze der Sittenlehre); Fichte hat grundsätzlich

den Individualismus überwunden und ist zum Begriffe der Gegenseitigkeit in der

Gemeinschaft vorgedrungen, blieb aber leider in der Durchführung noch im

Individualismus befangen. Bei Sokrates scheint ein Individualismus nie bestanden

zu haben.

5 .

D i e G r u n d l e g u n g d e r W i s s e n s c h a f t e n .

V e r f a h r e n l e h r e u n d L o g i k

Hier zeigt sich bei beiden Lehrern dasselbe zwiespältige Bild. Der Eindruck

Newtons und der Naturwissenschaft auf Kant war bekanntlich entscheidend. Daher

beschritt er den Weg, Ursache und Wirkung als Kategorie und so für jede Wis-

senschaft als bindend zu betrachten, das teleologische Verfahren nur für die or-

ganische Welt und auch hier nur als Unterstellung — „als ob“ — gelten zu lassen.

Fichte folgte ihm darin in seiner Frühzeit im Wesentlichen, wie denn auch die

Stellung der Ursächlichkeitskategorie in der „Wissenschaftslehre“ ganz kantisch

anmutet. Andererseits wurde von Fichte doch das d i a l e k t i s c h e V e r f a h -

r e n , das bei Kant noch mehr im Verborgenen blieb, für Erkenntnistheorie und

Seelenlehre schon von Anbeginn planmäßig entwickelt. In der Frühzeit bestehen

hier nur untergeordnete Verschiedenheiten.

1

Zum Primat des Willens siehe oben S. 117 f.