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[144/145]

6 . D a s V e r h ä l t n i s z u r G e s c h i c h t e

Kant hatte noch ein ähnliches Verhältnis zur Geschichte wie die Aufklärung:

Entwicklung von unten hinauf. Bei Fichte gestaltete sich von selbst ein neues Ver-

hältnis zur Geschichte. Denn die Lehre vom zeitlosen Gefüge des Bewußtseins

wies mittelbar auf eine Lehre von der inneren Geschichte der dialektischen Set-

zungsschritte des Ich hin. War ihm auch diese innere Geschichte eine zeitlose

Gesamtsetzung, eine Gefügelehre, so lag darin doch schon eine Loslösung von der

Aufklärung: Das Selbstbewußtsein konnte nicht mehr von unten hinauf sich ent-

wickeln, nicht eigentlich aus Unbewußtem, Totem entstehen, es mußte als Ganzes

in Erscheinung treten. Damit wäre für die wirkliche Geschichte der naturalistische

Entwicklungsgedanke und der mechanisch-naturhafte Fortschrittsgedanke abge-

lehnt. Das zeigte sich denn auch wenigstens zum Teil in Fichtes „Uber die

Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters“ (1807), wo der Mensch nicht als Tier,

sondern als geistiger Vollmensch auftritt.

7 .

V e r g l e i c h s t a f e l d e r k a n t i s c h e n u n d

f i c h t i s c h e n L e h r e

Zum Schlusse möge noch folgende Tafel die innere Umbildung

vor Augen führen, welche der kantische Apriorismus durch Fichtes /

Setzungslehre erfuhr. Sie zeigt deutlich, welche entscheidende Ver-

tiefung Fichte leistete. Auf ihn bauten Schelling und Hegel.

K a n t

1.

Subjektives Apriori (Apriorismus

1

);

2.

Kritizismus (als Überwindung des

Relativismus der Empiristen)

3. Phänomenalismus

4. Transzendentale Pflichtenlehre

(formal)

5.

Seelenvermögenlehre

(theoretische

Vernunft, praktische Vernunft, Ur-

teilskraft)

6.

Intelligible Freiheit (aber im Zwie-

spalt mit der Kategorie der Ursäch-

lichkeit, die auch für das Seelische

als Erscheinungswelt gilt)

F i c h t e s S e t z u n g s

1

e h r e

Apriori des Ich und Nichtich zugleich;

Geläuterter

Dogmatismus

2

(Erweite-

rung der Wahrheitslehre des Kriti-

zismus auch auf das Nichtich, das

nicht mehr a posteriori ist);

Einheit von Erscheinung und Ansich der

Dinge (das „Ding an sich“ ist in das

Ich verlegt);

Metaphysische Pflichtenlehren (inhalt-

lich);

Einheit des Ichs; Gefügelehre des Selbst-

bewußtseins

(„Pragmatische

Ge-

schichte“

des Ich, „Gnosogonie“,

Phänomenologie);

Freiheit aus Selbstsetzung (liegt logisch

vor der Kategorie der mechanischen

Ursächlichkeit);

1

Daß die Subjektivität des Apriori infolge des „Ding an sich“ keinen So-

lipsismus bedeutet, wurde schon hervorgehoben.

2

Fichte und Kant gebrauchten diesen Ausdruck, welcher starre Metaphysik

bedeutet, nicht.