Vorerinnerung über die Bedeutungen des Wortes Idealismus
Kurz gesagt ist Idealismus die Lehre, daß die Welt Erscheinung
des Geistes sei. Aber wie so mancher philosophische Kunstausdruck
hat auch das Wort „Idealismus“ mehrere Bedeutungen erhalten.
Zwei Hauptbedeutungen sind es, die im Vordergrunde stehen, die o n t o l o -
g i s c h e u n d d i e e r k e n n t n i s t h e o r e t i s c h e . Für die letztere ist ent-
scheidend, daß die Erkenntnis stets die Tat des Erkennenden sei, und zwar auf
Grund eines Apriori, also ideeller, nicht materieller Art sei. Da hier stets ein
Überindividuelles dem Empirischen zugrunde hegt, so bei Kant das „Ding an sich",
bei Fichte das „absolute Ich“, ist dieser Idealismus von der Gefahr des S o l i p s i s -
m u s (von „solus“, allein und „ipse“, selbst, wonach nur ich selbst bin, die Welt
nur mein Gedanke ist) und S u b j e k t i v i s m u s , auf die jeder Sensualismus
hindrängt, befreit. Daher kann auch der erkenntnistheoretische Idealismus nur
ungenau „subjektiver Idealismus“ genannt werden.
Die o n t o l o g i s c h e Bedeutung des Wortes „Idealismus“ geht auf die
platonische „Idee“ im Sinne einer das S e i e n d e gestaltenden und tragenden
Urbildegewalt zurück. Nur ungenau kann der ontologische Idealismus ein „ob-
jektiver“ genannt werden, weil ja auch dem erkenntnistheoretischen Idealismus in
dem Uberempirischen des Apriori sowie des „Ding an sich“ stets etwas Objekti-
ves zu Grunde liegt.
Das Wort „Idealismus“ kommt von „I d e e“
(ίδ
έα
,
wörtlich „Gesicht“, im
subjektiven wie im objektiven Sinne, Schauen und Geschautes) im platonischen
Sinne, wonach die Ideen objektive, gestaltende Mächte sind. „Ontologischer“ Ide-
alismus ist demnach die platonische und aristotelische / Philosophie, ferner die
Scholastik, soweit sie auf Platon und Aristoteles eingestellt ist, aber allerdings nicht,
soweit sie „nominalistisch“ ist; ebenso der deutsche Idealismus und die Mystik
(die niemals „subjektivistische“ Philosophie ist). Im Kampfe um die objektive
Bedeutung des Ideenbegriffes entwickelte die Scholastik den Begriff des „R e -
a
1
i s m u s“, wonach die Gattungen (Ideen) vor und in den Dingen r e a l
existieren, während der „ N o m i n a l i s m u s“ den Individuen der Gattung
nicht eine ihnen einwohnende I d e e , sondern nur den gemeinsamen N a m e n
(nomen) zugestand. Ontologischer Idealismus liegt ferner in der Spätlehre Fichtes
und Schellings sowie in der Lehre Hegels vor.
In der Lehre Kantens, in der ersten Lehre Fichtes und Schellings dagegen wird
das Wort Idealismus zwar auch zuletzt im Sinne eines objektiv begründeten Ide-
alismus gebraucht („Ding an sich“), aber doch mit Betonung der bloßen Erkennt-
nisseite, und darum wird dort nicht von Idealismus schlechthin gesprochen, son-
dern von „ t r a n s z e n d e n t a l e m I d e a l i s m u s“
1
. — Im Gegensatz dazu
1
Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, nach der 1. und 2. Original-
ausgabe neu herausgegeben von Raymund Schmidt, Leipzig 1926, S. 518 f.
(= Philosophische Bibliothek, Bd 37 d).