Vorwort
Was dieses Buch erreichen möchte, wäre, von der Größe des
menschlichen Geistes eine Anschauung zu vermitteln. Solange der
Mensch seine Größe nicht kennt, fehlt ihm der Leitstern seines
Wesens und vermag er sich nicht jene Aufgabe zu stellen, die seine
Würde fordert.
Es kann indessen dieses Ziel nur auf einem Wege ins Auge gefaßt
werden, der vom bisherigen abseits liegt. Darum mußte sich das
vorliegende Buch auch überall der verneinenden Aufgabe zuwenden
und trachten, von der Wirklichkeitsfremdheit und inneren Leere
der bisherigen „Psychologie“ zu überzeugen. Und das ist wieder nur
möglich, wenn es gelingt, die Betrachtung des Geistes von ihrer er-
erbten, falsch angebrachten Naturwissenschaftlichkeit zu befreien.
Den Geist als Natur zu betrachten und die Seelenlehre demzufolge
nach Art der Physik mit Messung, Rechnung, Versuch, Statistik,
„Induktion“ zu begründen, heißt das Äußere für das Innere nehmen
oder die Finsternis Licht nennen — was die folgenden Blätter an
jedem einzelnen Lehrbegriffe beweisen werden.
Jedes echte Wissen trägt seinen Wert in der Ausübung, das äußere,
naturwissenschaftliche in der Anwendung auf die werkzeugliche
Nutzung der Natur, das innere, geisteswissenschaftliche in der An-
wendung auf uns selbst. Und daß gerade die Lehre vom inneren Men-
schen in Lebensweisheit münden, daß sie uns auch innerlich ein
Stück vorwärtsbringen müsse, das ist eine Überzeugung, die sich
von selbst aufdrängt und die sich niemand nehmen lassen wird. Wer
aber kann behaupten, / daß die „experimentelle Psychologie“ von
gestern und heute zur Lebenskunst etwas beigetragen habe?
Damit ist schon gesagt, inwiefern die Wissenschaft vom inneren
Menschen, je weiter sie führt, um so mehr zur Selbsterkenntnis
wird. „Erkenne dich selbst“,
γνώθι οεαντόν
,
stand als Inschrift
am Apollotempel zu Delphi. Unsere Zeit versteht den tiefen Sinn
dieses Wortes nur schwer und wußte daher auch nicht anzuerkennen,
daß es als Leitstern der Wissenschaft dienen soll. Zum Verständnisse