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bestehen, als die neuen Versuche offen oder geheim an der Voraus-

setzung einer „Psychologie ohne Seele“ festhalten. Erst wenn diese

Versuche zum Begriffe der Seele, des Geistes (zwei Begriffe, über die

wir uns später erklären werden) als der ersten Voraussetzung ihrer

Wissenschaft gelangen, wenn sie ferner für das Verfahren die not-

wendigen Folgerungen ziehen, erst dann können sie eine echte Wis-

senschaft des Geistes begründen. Aber dann ist auch schon die Ein-

heit von Metaphysik und Geisteslehre hergestellt. Denn der Begriff

des Geistes kann niemals ein anderer als ein metaphysischer sein.

Das lehrt jede ernste Selbstbesinnung. Der Mensch findet sich in

seinem Geiste an die tiefsten Wurzeln des Weltgeschehens geknüpft.

Das lehrt aber auch jeder Blick auf die Geschichte der Philosophie.

Es ist unbestreitbar, daß in allen hohen idealistischen Lehrgebäuden

der Philosophie M e t a p h y s i k u n d G e i s t e s - / l e h r e

e i n e E i n h e i t bilden. In Fichtes „Wissenschaftslehre“, in Schel-

lings „System des transzendentalen Idealismus“, in Hegels „Phäno-

menologie“ liegt das klar am Tage. In diesen drei Begriffsgebäuden

bilden nicht nur Metaphysik, Ontologie und Geisteslehre (Psycho-

logie), sondern auch die Lehre vom Gesamtgeiste und seiner Ent-

faltung, das heißt also Gesellschaftslehre und Geschichtsphilosophie,

eine Einheit. Das ist nicht die angebliche Dürftigkeit einer „An-

fangsstufe der Entwicklung“, wo die Philosophie noch nicht in

Sonderfächer aufgespalten war, sondern es entspricht durchaus dem

Wesen der Sache. — Der gleiche grundsätzliche Sachverhalt zeigt

sich auch bei Platon und Aristoteles. In Platons „Staat“, „Sophistes“,

„Philebos“ findet sich eine ähnliche Einheit von Ontologie, Gei-

steslehre und Gesellschaftslehre wie in der „Wissenschaftslehre“

Fichtes. Und welche die wahre Meinung des Aristoteles war, geht

daraus hervor, daß er gleich zu Beginn seiner Bücher über die Seele

sowie an anderen Stellen sagt, die Seele sei das „Prinzip“

(

άρχή

)

von allem, also ein ontologisches Prinzip. Es ist nicht richtig, daß

seine Bücher über die Seele der Anfang einer „Erfahrungsseelen-

lehre“ im heutigen Sinne wären.

Geht man aber von der Geschichte der heutigen Seelenlehre aus,

dann findet man ihr Entstehen durch jenen großen Kulturbruch

bezeichnet, der zwischen Mittelalter und Renaissance eingeleitet

wird. Es ist zuletzt jener Bruch, welcher in der P h i l o s o p h i e

den Sieg des Empirismus und Materialismus bedeutet, in der Na-