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wissenschaftlichen Verfahrens überhaupt an die Erscheinungen her-

angehende „Erfahrungsseelenlehre“.

Der Standpunkt dieses Buches ist damit schon bezeichnet: nach

der verneinenden Seite hin durch den Kampf gegen das ursächlich-

mechanistische Verfahren; nach der aufbauenden Seite hin durch das

g a n z h e i t l i c h e V e r f a h r e n und durch die Wahrung der

E i n h e i t d e r P h i l o s o p h i e , welche sich nicht in „selb-

ständige Erfahrungswissenschaften“ aufspalten läßt. Der heutige

„Erfahrungspsychologe“ will ein Fachforscher sein, der von der

Philosophie nichts zu verstehen braucht. Wir behaupten dagegen,

daß schon zur ersten Auffassung der Tatsachen des Geistes überall

die letzten philosophischen Begriffe unentbehrlich seien. Wir be-

haupten damit nichts Geringeres, als daß es eine „Erfahrungsseelen-

lehre“ im heutigen Sinne, nämlich als selbständige Wissenschaft

nach naturwissenschaftlicher Art, in Wahrheit nicht geben könne.

Sie geht einen Irrweg, der nie und nimmer zum Ziele führt. Die

Seelenlehre als selbständige „Erfahrungswissenschaft“ ist nichts an-

deres denn eine Frucht unberechtigter Nachahmung naturwissen-

schaftlicher Verfahren auf geisteswissenschaftlichem Gebiete. So

wahr der Geist etwas anderes ist als eine Naturtatsache, so wahr ist

die Geisteslehre etwas anderes als eine Naturwissenschaft.

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Wir behaupten sogar, daß keine einzige Geisteswissenschaft

wesentlich „Erfahrungswissenschaft“ sei, daß vielmehr jede Geistes-

wissenschaft von dem Einblicke in das innere Wesen des Geistes

abhänge. Handle es sich nun um die allgemeine Gesellschaftslehre

oder die Geschichte oder die Rechtswissenschaft, Staatswissenschaft,

Volkswirtschaftslehre, Völkerkunde oder sogar Statistik — nirgends

gibt es hier ursächlich-mechanische Vorgänge, nirgends daher Ver-

fahren, die auf äußerer Beobachtung beruhen, nirgends daher ur-

sächlich-mechanische Gesetze, Anwendung der Mathematik. Denn

diese Verfahren sehen bewußt von einem sinnvollen Begriff des

Gegenstandes ab, um nur Feststellungen äußerer Abfolge der Er-

scheinungen durch mengenhafte Merkzeichen zu machen; sie sind

nur im Reiche der blinden Notwendigkeit möglich, und selbst da

haben sie ihre Grenzen.

Daß die „Erfahrungsseelenlehre“ ihr Ziel in zweihundertjähriger

Arbeit nicht erreichte, wird augenfällig durch die tiefgehende Krisis

der heutigen Psychologie bewiesen. Diese Krisis wird aber so lange