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III.
Bemerkungen über die Grundgestaltungen
des Umgliederungsganges
Der Vollkommenheit nach geht der Weg des Geistes in der Zeit
von außen nach innen und zuletzt in das Innerste. Dieser Weg ist
überall der wesensgemäße, gleichgültig, welche Be- / gabungen
auch vorhanden sein mögen. Am leichtesten und notwendigsten
bietet er sich aber dar, wenn die hohen Stufen des Geistes die
begabten und entwicklungsfähigen sind. Jedoch ist er auch dem im
höheren Geistesleben Unbegabten und mehr in der Sinnlichkeit
Lebenden nicht verschlossen, wie z. B. die Seelsorge und das reli-
giöse Leben zeigen.
Wo dieser Weg g e r a d e gegangen wird, ist die erste und höch-
ste Grundgestalt des Umgliederungsganges damit bezeichnet. Er
geht durch die Welt hindurch, wie ihn das Brahmanentum fordert:
Jüngerschaft, Hausstand des Brahmanen, Waldeinsamkeit. Wird er
unter Umgehung der Welt gegangen, dann wird das Heil der Seele
von den allgemeinen Zwecken des Lebens zu sehr getrennt und die
Weltarbeit nicht getan. Wir sind aber dazu bestimmt, durch diese
Welt hindurchzugehen.
Ein andrer Punkt ist, auch wirklich diejenigen Begabungen (vor-
ausgesetzt, es handelt sich nicht um wesenswidrige) zu entfalten, die
man hat, und nicht diejenigen, die man sich einbildet. Erkennt man
seine wahren Begabungen von Anfang an, dann kann man unbeirrt
den Weg der Entfaltung gehen und mittelst desselben die Richtung
des ersten Weges, der Entwicklung nach innen, nehmen. Wie schwer
das für viele ist, zeigt das Beispiel Goethes, der seine Begabung als
Maler überschätzte. Streiten sich nicht so eng verwandte Begabungen
wie Dicht- und Malkunst, sondern z. B. neben der Kunst auch solche
des Handelns und der Sinnlichkeit, so sehen wir eine Vergeudung
der Entfaltungskräfte, die verhängnisvoll werden kann und schließ-
lich das Bild des zerrissenen Menschen zurückläßt, wie es zum Teil
Kierkegaard und der Dichter Lenz zeigen. Der Kampf zwischen der
beschaulichen und der tätigen Begabungsrichtung erfüllt die Geschichte
vieler großer Menschen (Leonardo da Vinci, Leibniz, Fichte). Die
Vielseitigkeit der Begabungen in eine harmonische Ganzheit der Ent-
faltung zu bringen ist eine Aufgabe, die nicht leicht zu lösen ist und
an der gerade die Hochbegabten zu scheitern drohen.
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