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Ein allgemeines Übel ist das S t o c k e n i n d e r E n t f a l -

t u n g . Nicht nur schwache, auch starke Begabungen hören oft in

ihrer Entwicklung auf. Daß sie „nicht halten, was sie versprochen“

oder daß ein Künstler „sich ausgegeben“ habe, sind sprichwörtliche

Redensarten. Woher dieser Mangel? Beachten wir, daß die verschie-

denen Stufen der Ausgliederungsordnung sehr verschiedene Bega-

bung zeigen können, und zwar auch M i ß b e g a b u n g , dann

finden wir hier den Schlüssel. M e i s t e n s b e r u h t d a s A u f -

h ö r e n d e s S c h ö p f e r t u m s a u f V e r f i n s t e r u n g e n ,

d i e a u s d e n M i ß b e g a b u n g e n a n d r e r S t u f e n h e r -

r ü h r e n ; oder auch aus den Widersprüchen der Stufen. Wenn es

einem begabten Künstler nicht an Eingebung und Gestaltungskraft,

wohl aber an Tiefe und Innigkeit des Gemütes gebricht (Mangel in

der Gezweiungsstufe), so ist eine vertiefende Weiterentwicklung

seiner Kunst kaum möglich. (Als ein Beispiel hierfür darf vielleicht

Byron gelten.) — Wird die Gemütshärte selber weiter und bis zur

Selbstsucht ausgebildet, dann treten weitere Verfinsterungen ein.

Man kann beobachten, daß die Selbstsucht und die mit ihr verbun-

dene Eitelkeit und Überempfindlichkeit in den meisten Fällen, wo

eine Begabung stockt oder gar herunterkommt, den Grund bilden.

S e l b s t s u c h t u n d E i t e l k e i t v e r f i n s t e r n d e n V e r -

s t a n d u n d d i e G e s t a l t u n g s k r a f t . Beide schwächen

außerdem das schon vorhandene Gezweiungsleben, wie das noch

mehr die Überempfindlichkeit tut, und berauben sich dadurch auch

jener Quellen der Verinnerlichung, die noch fließen. Schöpfungs-

drang und Schöpfungslust vermindern sich, und das fürchterlichste

Ereignis des inneren Lebens, die Stockung und Versandung, ist ein-

geleitet.

Hier kehrt sich der Sokratische Satz, daß das Böse aus Unverstand

entstehe, um: Denn ist das Böse getan, dann trübt sich von da aus

die schöpferische Kraft des Verstandes und der Kunst, ebenso des

Wollens und Handelns. Die alte Höhe der Leistung wird nicht ge-

halten, und ist es da ein Wunder, daß die Freude / am Schaffen

versiegt? Wer die Ohnmacht des Herzens selbst verschuldet, macht,

daß die Kraft zu denken, zu gestalten und zu handeln mehr und

mehr eine abstrakte wird.

Andrerseits ist nicht zu übersehen, daß der Gemeinschaftsgeist,

der Z e i t g e i s t , hier eine große Rolle spiele. Wenn der innere

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