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sich verschlingenden Lebens. Gibt es aber überhaupt ein Wald- /
weben? — welche Naturvorgänge entsprechen ihm denn? — so
könnte der Zweifler fragen. Diesem Einwande ließe sich schließ-
lich kein strenger Beweis entgegensetzen. Daß aber darum unsere
Empfindung des Waldwebens nur Selbsttäuschung und Willkür
wäre, glaubt wohl niemand, der den Wald je empfunden hat.
Wie uns Mozart das Innere des Mondaufganges, Richard
Wagner des Waldwebens darstellt, so Schubert das Wasserweben
und den Reigen seliger Wassergeister im fünften Satze seines
sogenannten „Forellenquintettes“. Wie innig verwandt damit
ist das Wasserweben in Carl Maria von Webers „Oberon“ —
sollte dieses Zusammentreffen der Musik Zufall sein? Das ist
sicher unmöglich.
Nicht nur Wald und Wasser leben und weben, selbst das
kahle Gestein im Gebirge, die wüsten Felsenmassen strahlen
gleichsam mystisches Leben aus. Gewiß leben Felsen und Berge
nicht in demselben Sinne wie Wald und Pflanze. Aber hinter
ihrem räumlichen Sein ungeheuer kraftvollen Lastens und
Sichtürmens steht etwas Vorräumliches, Immaterielles, das dem
organischen Leben entspricht.
Die Heiterkeit der Natur durchzieht den unsterblichen „Tau-
genichts“ von Eichendorff und tritt uns in vielen seiner Ge-
dichte entgegen:
„Und über Felsenwände
Und auf dem grünen Plan,
Das wirrt und jauchzt ohn’ Ende —
Nun geht das Wandern an!“
Oder:
„Und das Wirren bunt und bunter
Wird ein magisch wilder Fluß,
In die schöne Welt hinunter
Lockt mich dieses Stromes Gruß.“
Das Unholdisch-Dämonische der Natur beherrscht Theodor
Amadeus Hoffmanns und Lenaus Dichtungen. Aber es tritt uns
auch bei Eichendorff entgegen. Das Schauerliche der Nacht, zu-
gleich die Nacht als Sinnbild der Vergänglichkeit, die Andacht
weckt, läßt uns Leontins Lied in „Ahnung und Gegenwart“ ver-
spüren:
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