D r i t t e r A b s c h n i t t
Urnatur
Die Natur kann so, wie sie uns entgegentritt, nicht zum Ideal
erhoben werden. Denn dann müßten auch alle ihre Widersprüche
und die tief wurzelnden Unvollkommenheiten der irdischen Welt
zugrunde gelegt werden. Was wir als Katastrophen, als unhol-
disch empfinden, die Zerstörungen, die Wüsten, die Eisflächen,
das Fremde und Feindliche der Natur würde mit idealisiert
werden müssen. Und gerade das würde ja dem Ideal wider-
sprechen.
Die wahre Idealisierung der Natur, die Zurückführung auf
ihr reines Wesen, führt uns auf das, woraus die wirkliche Natur
sich ausgliedert, worin sie rückverbunden ist — auf die über-
räumliche Wurzel in ihrer Reinheit, die Urnatur.
Um zur Urnatur zu kommen, muß man auf die vorstofflichen
Wesensgründe, auf jene Mächte, die sich in der Natur darstellen,
in ihrer Ungebrochenheit zurückgehen.
Die Urnatur, die intelligible Natur, ist uns ferne, aber doch
nicht völlig und durchaus unerreichbar. Denn sie ist es, welche
die ganzheitlichen Züge der wirklichen, von uns sinnlich erfah-
renen Natur bedingt. Die Urnatur schimmert durch die Vorge-
fundene, gebrochene Natur überall hindurch.
Wo schimmert Urnatur durch?
/
Zumeist überall dort, wo Künstlertum in der stofflichen Welt
sichtbar wird (von der organischen, die dem Bereiche des Geistes
angehört, ist ja abzusehen
1
): In allen Wissenschaften, die uns
von den wirklichen Dingen der Natur berichten, schimmert Ur-
natur durch, in der Lehre von den Kristallen, in der Lehre von
den Dinggesellschaften, Landschaften, Witterungen, der Erde
1
Vgl. oben S. 221ff. Gewiß gehört die Pflanzen- und Tierwelt auch zur ele-
mentarischen Natur, soferne die enge Verbundenheit beider bedacht wird.