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deln. Beim Denken ist das reflektierende, zerlegende zu unter-

scheiden von dem erlebenden, intuitiven. Das reflektierende ent-

faltet, verwertet den intuitiven Grund. Mangelt dieser, dann ist es

ein gleichsam blindes, leeres Denken — die Quelle der meisten Irr-

tümer und Sophismen in der Geschichte der Wissenschaften und

ebenso jener dürren, toten Gelehrsamkeit, welche man als die Wis-

senschaft des Nicht-Wissenswerten bezeichnen kann. So steht es

auch mit dem Handeln. Jenes Handeln, welches aus intuitivem

Grund, aus dem Schauen kommt, das t i e f g r ü n d i g e H a n -

d e l n ist niemals unfruchtbar, leer und tot. Es folgt aus dem Leben

und dient dem Leben. Wir können es auch das ü b e r f l i e ß e n d e

H a n d e l n nennen, nach dem Satz: Was im Schauen angesammelt

wird, fließt im Handeln über.

Ohne echten Erlebnisgrund würde ferner das Handeln (wie das

Denken) in eine unübersehbare Vielheit zerflattern. Denn die Um-

gebung des Menschen, die äußere Natur, ist eine unendliche Viel-

heit; und desgleichen sind die rein vital-organischen Regungen, die

aus seinem Leibesleben folgen. Ohne einen Einheitsgrund geistiger

Art würden wir uns daher in einer rein kasuistischen Zerstreutheit

des Handelns verlieren, welches ähnlich wie bei Tieren keine Ge-

stalt, keinen höheren Sinn hat.

Der mystische Erlebnisgrund des Handelns allein ist es ferner

auch, welcher uns innere F r e i h e i t des Wirkens zu geben vermag.

Denn nur auf diesem Grund können sich freies Denken und sitt-

liches Überlegen des Handelns aufbauen.

Endlich ist Wärme, Ergriffenheit, B e g e i s t e r u n g und da-

mit sittliche Kraft des Wollens und Handelns ohne die Unmittel-

barkeit mystischen Erlebnisgrundes nicht möglich. Erst als Selbst-

darstellung des Schauens in überfließendes Handeln verstehen wir

die innere Befriedigung, die Seligkeit wie die sittliche Gegründet-

heit alles äußeren Wirkens des Menschen.

Andererseits ist das geistige Schauen in sich selbst kein Nichts-

tun — jene einsamen Asketen, bei denen das zutrifft, verfallen

mehr einer Art von stumpfsinnigem Brüten als mystischen Übun-

gen — sondern höchste innere Spannung, höchstes in sich gekehr-

tes Tun. Darum ist auch begreiflich, daß es zuletzt in ein nach

außen gekehrtes Tun Umschlagen müsse. Am einfachsten lehrt das

die Kunst: Zuerst erschaut der Bildhauer und Maler / sein Bild,