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sich ebenfalls alle rühmen, eine „ P s y c h o l o g i e o h n e S e e l e “ zu sein
—
dann, in der Tat, wird für keinerlei Mystik je Raum sein. Auch wenn man
ein wenig über diese Dürftigkeit, das Seelenleben als einen bloßen Mechanismus
der Sinneseindrücke und ihrer Erinnerungsbilder zu erklären, wie etwa die so-
genannte D e n k p s y c h o l o g i e oder ähnliche moderne Richtungen, hinaus-
strebt, indem diese die Denkvorgänge nicht als reine Assoziationsergebnisse
(also nicht nur mechanisch zustande gekommen) erklärt — auch dann hat man
noch keinen Zugang zum wahren Geistesleben und dessen Tiefen.
Auch die allgemein herrschende Einteilung der seelischen Erscheinungen in
V o r s t e l l u n g , G e f ü h l u n d W i l l e ist dem Geltenlassen mystischer Er-
scheinungen hinderlich. Denn das Gefühl wird dabei wesentlich auf die Qualitä-
ten „Lust und Unlust“ der Sinneseindrücke und ihrer Vorstellungen zurückge-
führt und dabei s u b j e k t i v i e r t ; der Wille kommt bestenfalls als etwas
Unerklärtes hinzu, nämlich in der sogenannten „voluntaristischen“ Psychologie,
während die Assoziationspsychologie den Willen gar nur aus den „Lust- und
Unlustgewichten“ der Vorstellungen resultieren (!) läßt, indem sich daraus die
—
also wieder mechanistisch verstandenen — „Motivationen“ der Handlungen
ergeben sollen. Daher: solange die Psychologie an der ärmlichen Einteilung
„Vorstellung, Gefühl, Wille“ festhält, hat sie keine Begriffsmittel, um die
mystischen Geisteszustände zu erfassen.
Endlich ist die m e c h a n i s t i s c h e N a t u r a n s c h a u u n g von heute
ein großes Hindernis für das Verständnis mystischer Zustände.
Wo blinde, tote Naturgesetze walten, kann auch nur ein Verständnis der
Natur innerhalb der mathematischen Gesetze der Physik stattfinden. Es kann
dann z. B. nicht zugestanden werden, daß der Verzückte in der Luft schwebe
(die sogenannte Levitation), noch daß er von Lichtglanz umflossen sei. Es kann
auch nicht zugestanden werden, daß der Geist eine Fernwirkung auf den Geist
eines anderen Menschen ausübe (sogenannte Telepathie, Einwirkung Sterbender
auf ihre Lieben) noch auch auf körperliche Gegenstände — trotzdem beides
geradezu millionenmal bezeugt ist
1
.
Nur wenn die Natur aus einem immateriellen Grund verstanden wird, kann
dem Geist eine u n m i t t e l b a r e Einwirkung auf sie zugestanden werden. Der
Geist wirkt dann auf die immateriellen Wurzeln der Materie (denn auf das
Materielle selbst kann Geistiges nicht wirken). Und nur wenn der Geist selbst
in seinem Wesen gänzlich un m e c h a n i s c h verstanden wird, nur dann kön-
nen ihm auch alle jene Fähigkeiten und Leistungen zugestanden werden, welche
in den außerordentlichen Geisteszuständen, von den einfachen angefangen bis
zur hohen Entrückung oder Ekstase, Vorkommen.
Nun kann allerdings hier weder die nichtmechanistische Naturauffassung
näher auseinandergesetzt und begründet werden, wie sie in der N a t u r -
p h i l o s o p h i e Platons, Aristoteles’, Plotins, der mittelalterlichen Mystik, /
Leibnizens, Schellings und Baaders entwickelt und vom Verfasser selbst versucht
wurde, noch auch eine ausführliche Lehre vom Wesen des Geistes.
1
Vgl. z. B. Maximilian Perty: Die mystischen (gemeint sind die magischen)
Erscheinungen der menschlichen Natur (1861), 2. Aufl., Leipzig 1872 und Emil
Mattiesen: Der jenseitige Mensch, Berlin und Leipzig 1925. — Beide Werke
legen einen ungeheuren Tatsachenstoff vor.