6
über auch ausfallen möge, immer ist eine prinzipielle Bestimmung
über das Verhältnis der Wirtschaft zur Gesellschaft notwendig in ihr
eingeschlossen. Schon weil eine Ausdehnung der nationalökonomi-
schen Untersuchung auf die ganze empirische Wirtschaft den äußeren
Umfang und die innere Konstitution der Nationalökonomie ändert
und damit auch ihre Stellung im Kreise der Gesellschaftswissenschaf-
ten verrückt. Wird nämlich die e m p i r i s c h e Wirtschaft als Ge-
genstand der Nationalökonomie betrachtet, so verliert diese dadurch
prinzipiell ihren theoretischen Charakter und wird zu einer deskrip-
tiv-historischen Wissenschaft von den Parallelismen der Wirtschafts-
und Sozialgeschichte. Wir sehen aber, daß selbst in diesem Falle das
P r o b l e m des Verhältnisses von Wirtschaft und Gesellschaft zu
Recht besteht. Denn es ist dabei nicht ignoriert, sondern in bestimm-
ter Weise gelöst worden, und zwar folgendermaßen: die Wirtschaft
verhält sich zu den übrigen sozialen Tätigkeiten so, wie es die Be-
schreibung des Zusammenhanges der e m p i r i s c h e n Wirtschaft
mit Technik, Wissenschaft, Religion usw. jeweils ergibt. Diese Be-
Schon in der Geschichte der Nationalökonomie ist von jeher zu beobachten,
wie es sich immer darum handelt, den spezifischen T e i l gesellschaftlicher Er-
scheinungen, der das Objekt der Wirtschaftswissenschaft bilden soll, aus der empi-
rischen, gesellschaftlichen Wirklichkeit h e r a u s z u a b s t r a h i e r e n . Schon bei
dem ersten wahrhaft wissenschaftlichen System der politischen Ökonomie, dem
physiokratischen (ebenso wie schon früher ähnlich bei Hume), zeigt sich dies an
der Unterscheidung einer „Ökonomik“ und einer „Politik“. F r a n
5
o i s
Q u e s n a y selbst wollte zwar dieser Trennung keine Bedeutung zugestehen,
dennoch waren es zwei grundverschiedene, selbständige Prinzipien, welche das
Objekt der einen und der andern Disziplin konstituierten. So heißt es bei
O n c k e n über diesen Gegenstand: „Die Verwirklichung beider Zwecke (der
Wirtschaft und des Staates) fällt nun aber keineswegs zusammen, noch geschieht
sie nach gleichen Gesichtspunkten. Vielmehr sagt Quesnay von ihnen: ,La pre-
miere partie est ordonnée par l’i n t é r e t, la seconde est confiée au g o u v e r -
n e m e n t c i v i l‘.“ — Oncken bemerkt weiter, daß Quesnays Ökonomik faktisch
„nur ökonomische Gesichtspunkte in sich schließt, dieselben sogar absichtlich von
allen anderen isoliert, so daß man . .. dennoch von einer im engeren Sinne öko-
nomischen Lehre bei ihm (Quesnay) sprechen kann... Der Leitstern der öko-
nomischen Handlungen ist das Eigeninteresse (intérSt).“ (August Oncken, Ge-
schichte der Nationalökonomie, Leipzig 1902, S. 358). — Quesnay hat also das
Verhältnis der ökonomischen und der politischen Seite des Gesellschaftslebens als
das reiner, abstrakter Teil-Inhalte desselben bestimmt.
Ein Gleiches, wie Oncken hier von Quesnay, sagt C a r l M e n g e r v o n
A d a m S m i t h : „Von diesem Gesichtspunkte (der isolierten Betrachtung einer
besonderen Seite des Gemeinschaftslebens) aus h a t . . . auch der große Begründer
unserer Wissenschaft sein Werk über den Reichtum der Völker geschrieben, neben