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vor. Polytheismus ebenso wie Pantheismus entspringen daher erst
begrifflichen U m p r ä g u n g e n der mystischen Erfahrung.
Hierfür einige Beispiele.
Yâjnavalkya bezeichnet in der Brihad-Aranyaka-Upanischad (IV, 2, 22) den
Atman (das Welt-Selbst, Gott) als „den Herrn des Weltalls, den Gebieter des
Weltalls, den Fürsten des Weltalls“ — also durchaus t h e i s t i s c h w i e p e r -
s ö n l i c h , keineswegs pantheistisch und unpersönlich. — Die Kaushitaki-
Upanischad (III, 2) sagt ebenfalls unmißverständlich: „Er ist es, der das gute
Werk den tun macht, den er aus dieser Welt emporführen w i l l . . . Er ist der
Hüter der Welt..., er ist der Weltherr.“ Ferner läßt diese Upanischad die
abgeschiedene Seele schließlich zu einem Ruhebett kommen, auf dem Brahman
(das Weltselbst, Gott) sitzt. Dann fragt sie Brahman: Wer bist du?, dann soll
sie antworten: „Eines jeglichen Wesens Selbst bist du, und was du bist, das bin
ich.“ Die Seele wie Brahman wird sonach als Person gefaßt.
In der Cvetasvatara-Upanischad wird die Frage nach dem Urgrund des Daseins
gleich anfangs im monotheistischen und theistischen (nicht unpersönlich-panthei-
stischen) Sinn beantwortet:
„Er ist’s, der allen Kräften, die zu nähren,
Nebst Zeit und Seele, vorsteht als der Eine.“
Und zum Schluß heißt es:
„Zu ihm, der den Gott Brahman schuf zu Anfang. . .
Nehm ich, Erlösung suchend, meine Zuflucht.“
Statt diese Beispiele zu vermehren, weisen wir nur noch auf
Jakob Wilhelm Hauers Schrift hin: „Ein monotheistischer Traktat
Altindiens“
1
. Ihr gemäß lehrt die soeben angeführte Cvetasvatara-
Upanischad (gegen deren pantheistische Deutung durch Deussen
sich schon Georg Wobbermin gewehrt hatte) geradezu einen „un-
bedingten Monotheismus“.
„Rudra-Siva“, sagt Hauer, ist „ ... nicht nur der höchste Gott, er ist der
absolut Eine“
2
. „Dieser Gott ist die Ursache der Vereinigung der „Seele“ mit
der geschaffenen Welt. Er ist der „einzige Beweger“. Aus ihm kommt die Ur-
materie; er bewirkt durch seine schaffenden Kräfte die aufeinanderfolgenden
Entwicklungsstufen der Welt.“ „Alles ist von ihm durchdrungen. Seine Kraft
ist die letzte Wirklichkeit im Menschen.“ Das Verhältnis des Menschen zu Gott
wird „als Wesensidentität“ gekennzeichnet. „Doch ist diese / Wesensidentität
nicht Seinsidentität.“ — „Wer diesen ewigen, über alle Widersprüche und Wand-
lungen erhabenen, von allen Weltstoffen befreiten Gott e r k e n n t , der ist
erlöst von der Gebundenheit der Welt, der wird unsterblich.“ (28.) „Die Grund-
haltung der Upanischaden ist die H i n g a b e an die Gottheit. .. Im Grunde
1
Jakob Wilhelm Hauer: Ein monotheistischer Traktat Altindiens, Gotha
1931 (= Marburger theologische Studien, Bd 6).
2
Jakob Wilhelm Hauer: Ein monotheistischer Traktat Altindiens, S. 26.