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Gottheit und ihre Ideenwelt nicht schaut, oder nicht genug schaut,

und zwar infolge zu geringer Beherrschung des bösen Pferdes, der

Begierden, der Leidenschaften (die aber in der Ideenwelt freilich

nur latent denkbar wären). Der V e r l u s t d e r F l ü g e l , oder,

noch anders gesagt, innere Schwunglosigkeit (Mangel an Sponta-

neität, Selbstsetzung) ist also die Folge einer Gottentfremdung,

Gottferne der Seele — was ist das aber anderes als eine Abwendung,

ein Abfall?

Ähnlich dem Schauen der Ideenwelt in Platons Phaidros mutet das

Wort Indras in der Upanischad an: „So erkenne mich (schaue mich)!

Denn dieses erachte ich für den Menschen als das Heilsamste, daß er

mich erkenne“

1

; was, platonisch ausgedeutet hieße: daß er die

I d e e n w e l t s c h a u e . — Ganz allgemein kann man sagen, daß

die Upanischaden das N i c h t w i s s e n , Nichterkennen (avidyâ)

für den Grund der Gottentfremdung des Menschen halten; wie es

auch der Buddhismus (durch das Begehren) tut und es im besonde-

ren für das Weltleid verantwortlich macht.

Geradezu biblisch — „eritis sicut Deus scientes malum et bonum“

— klingt die Lösung der Maitrâyana-Upanischad

2

: „Brahman möge

sich (hienieden) verbreiten einfüßig (mit einem Viertel). .. dreifüßig

weilt es im Oberen. Um des Genusses von Wahrheit und Unwahr-

heit willen ist das Z w i e s p ä l t i g w e r d e n des großen Atman.“

Dieses Zwiespältigwerden um der Erkenntnis der Wahrheit, des Gu-

ten und Bösen willen — von wem könnte es aber ausgegangen sein?,

wohl nur vom Menschen.

Um die Möglichkeit solchen Geschehens zu begreifen, muß aller-

dings, wie berührt, die dem Menschen als einem geistigen Geschöpf

zukommende F r e i h e i t die formale Bedingung bieten; die Frage

aber, wie ein hoher, Gott ebenbildlicher Geist seine Freiheit realiter

mißbrauchen, sich realiter von Gott entfernen und so das Böse

wählen könne — wird damit nicht beantwortet. Hier verbirgt sich

ein Geheimnis, welches noch nicht ausgesprochen wurde.

Daher müssen wir uns bescheiden — und die Philosophie aller

Völker wie die Theologie aller Religionen konnte ebenfalls nicht /

anders — die Begriffe V e r l u s t d e r F l ü g e l , G o t t e n t -

1

Kaushîtaki-Upanishad, 3, 1, deutsch von Paul Deussen.

2

Maitrâyana-Upanishad, 7, 11, 8.