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B. Das I r r a t i o n a l e i n d e r W i s s e n s c h a f t
Die Eingebung ist gleichermaßen die irrationale Grundlage der
Wissenschaft wie der Kunst.
Das auf Eingebung gegründete Denken ist nicht rein rational,
ebensowenig wie das auf Eingebung gegründete künstlerische Ge-
stalten. Und gleichwie das eingebungslose Denken, welches die nur
äußerlich verstandenen Begriffe anderer übernimmt, schal, leblos,
haarspalterisch ist und leicht in eine Wissenschaft des Nichtwissens-
werten ausartet, so wirkt auch die eingebungslose, von echter Kunst
nur die äußeren Formen borgende, kalt, unwahr, roh oder philiströs'
Die überlieferte Logik aller Richtungen kann vom Rationalismus
nicht loskommen; sie leidet daran, als Inhalt des geistigen Lebens nur
Vorstellungen zu kennen, indem Gefühl und Wille entweder nur ab-
geleitet sind, wie in der alten Assoziationspsychologie, oder doch
mindestens das Denken aus nichts anderem, denn aus Vorstellungen,
die im Denkvorgange auf irgendeine Weise verbunden werden, be-
stehen soll.
Nicht so in der Eingebungslogik. Sie trennt erstens das bloß zer-
legende, rein rationale Denken von der Eingebung und gibt zweitens
der Vergegenständlichung des Eingebungsinhaltes, das sind den vor-
stellungsmäßigen Elementen der Begriffe (die sich aber nicht aus-
schließlich aus Sinneseindrücken herleiten) eine irrationale Grund-
lage. Irrational nicht nur im Sinne der Herkunft (aus der Ideenwelt),
sondern auch im Sinne der Triebkräfte, welche das Denken dabei
empfängt. Denn die Eingebung d u r c h d r i n g t d e n g a n z e n /
M e n s c h e n , sie gibt dem Denker — wie auch dem Künstler,
Feldherrn, Staatsmann, Erfinder — jene Leidenschaft, jene Besessen-
heit, die ihn nicht ruhen läßt, bevor er sie nicht zum Begriffe ent-
faltete und in den Gliederbau aller anderen vorhandenen Begriffe
einordnete oder sie künstlerisch gestaltete und praktisch verwirk-
lichte.
Ungenau kann man dieses Durchdrungen- und Besessensein des
Denkers, Künstlers, Erfinders von der Eingebung auch „Gefühl"
nennen, noch ungenauer kann man von dem „Willen“ des Denkers
zur Begriffsentfaltung oder des Künstlers zur Gestaltung, des Erfin-
ders zur Verwirklichung in der Praxis sprechen — in Wahrheit ist
aber weder „Gefühl“ noch „Wille“ dabei ursprünglich im Spiele,