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V. Schöpferisches Erkennen:
Erkennen als Sein des Erkannten
Ist Erkenntnis ein Lebensvorgang, dann muß sich das auch be-
währen: Alles Wissen muß auf irgendeine Weise ein Sein des Ge-
wußten sein; also nicht nur als Wissensvorgang ein Sein bilden, son-
dern auch irgendwie des gewußten Gegenstandes weiterhin, und
insbesondere muß dann das Gottwissen auch gleichsam ein Gottsein
sein.
„... swer niht vermac, waz er bekennet, daz ist ein Zeichen, daz er êwic
lieht niht enpfienge. Der êwic lieht ie enpfienc, der vermac waz er bekennet.“
1
Dieses „vermag“ erklärt Eckehart weiter dahin:
.. wesenlich vermügen ist wille unde minne, wan ez niht ist mit getwange
bilde lîplîcher oder geistlîcher.“
2
Der leiblich mitbedingte Trieb und die durch sinnliche Eindrücke
mitbedingte Erkenntnis ist demgemäß nicht auch schon das Sein des
Erkannten; der aus solcher Erkenntnis hervorgehende Wille kann
daher auch das Erkannte und Gewollte nicht schaffen. Wird da-
gegen, so dürfen wir Eckehart erläutern, das Erkannte sinngemäß
gewollt und geminnt, w e i l im Erkenner ein Sein des Erkannten
sich bildete, dann „vermag“ der Erkenner, was er erkennt. Darum:
Echtes, nämlich mystisches und rein ideenhaftes Erkennen (so müs-
sen wir Eckeharts Lehre verstehen), muß sich in das Sein des Er-
kannten umbilden (es schaffen), soll es ein wahrhafter Lebensvor-
gang sein.
Das gilt in klassischer Weise für die Gotteserkenntnis. Je wesen-
hafter diese ist, umso mehr ist die Vergottung des Erkennenden,
umso mehr erbildet er in sich göttliches Sein:
„Alles wird neu, gut, rein, lauter und heilig, indem es sich Gotte zukehrt.. .“
3
.
„got ist ein mâze aller dingen
4
, und als vil ein mensche mê gotes in sich hât
denne der ander, als vil ist er wîser, edeler unde bezzer denne der ander.“
5
1
Pf. 667, 35: Wenn jemand das, was er erkennt, nicht zu verwirklichen
vermag, so ist das ein Zeichen, daß er noch nicht des ewigen Lichtes teilhaftig ist.
Der das ewige Licht je empfing, der kann das (ausführen), was er erkennt.
2
Pf. 668, 3: Ein wesentliches Vermögen (der Vernunft) ist, zu wollen und
zu lieben, doch unter Ausschluß leiblicher oder geistiger Bilder [bildhafte Phan-
tasie],
3
B 149.
4
Bekanntlich ein Satz Platos (Gesetze, 716 c) — man merke hier wieder, wie
Eckehart diesen Satz durch kühne Anwendung ins Mystische umbildet.
5
Pf. 95, 16: Gott ist ein Maß aller Dinge, und je mehr ein Mensch Gottes
in sich hat als ein anderer, umso weiser, edler und besser ist er als der andere.