Table of Contents Table of Contents
Previous Page  7923 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 7923 / 9133 Next Page
Page Background

171

Daher denn auch (mystische) Erkenntnis zum Leben zurückführt,

v e r j ü n g e n d wirkt:

„Daz ist junc, daz sînem anevange nâhe ist. Vernünftekeit in der ist man

alzemâle junc: ie mêr man in der würkende ist, ie nêher man der geburt ist.“

1

Daher endlich auch die sittliche Wirkung der Erkenntnis und ihre

Unentbehrlichkeit für das geistige Leben der Seele:

„bekennen . . ., ... daz edelt die sêle.“

2

„Das Erkennen bedeutet eine gewisse Gottförmigkeit.“

3

„Die Seele ist Gotte sippe, Gott aber ist Erkennen.“

4

Was ist Leben? Gottes Sein ist mein Leben.

Eine rhythmische Übertragung von E r i k a S p a n n - R h e i n s c h lautet:

Des L e b e n s M a j e s t ä t

Kein Ding wird so geliebt noch so begehrt

Als Leben unter allen Dingen. So ist

Kein Leben noch so böse noch beschwerlich,

Der Mensch will dennoch leben. Eine Schrift,

Die spricht: Je mehr ein Ding dem Tode näher,

So mehr ist es voll Pein. Und also auch:

Wie böse Leben sei, so will es leben!

Warum issest du?

Warum schlafest du?

Um daß du lebest!

Warum begehrst du Gutes oder Ehren?

Das weißt du harte wohl!

Mehr: Warum lebest du?

Um Leben!

Und dennoch weißt du nicht, warum du lebst.

So wünschbar ist das Leben in ihm selber,

Daß man es um sich selbst allein begehrt.

Die in der Hölle sind in ewiger Pein,

Die wollten doch ihr Leben nicht verlieren,

Noch Rauch, noch Seele — denn ihr Leben, das

Ist also edel, daß es unvermittelt

Von Gotte in sie fließet; darum wollen

Sie leben. Was ist Leben? Gottes Wesen,

Das ist mein Leben!

1

Pf. 255, 3: Das ist jung, was seinem Ursprunge nahe ist. In der Vernunft

ist man völlig jung: je mehr man in ihr wirkt, um so näher ist man seiner

Geburt.

2

Pf. 254, 39: Erkennen edelt die Seele.

3

Meister Eckhart: Die Lateinischen Werke, Fünfter Band, Teil II, heraus-

gegeben von Bernhard Geyer, Stuttgart 1937, S. 60.

4

Meister Eckhart: Die Lateinischen Werke, Fünfter Band, Teil II, heraus-

gegeben von Bernhard Geyer, Stuttgart 1937, S. 60.