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Ideen, die in Gott beschlossen liegen, ja ein Mitschaffen der Dinge,
weil es im Mitleben, in der Teilnahme am göttlichen Leben ent-
halten ist!
Wir ziehen nun daraus den Schluß, ohne den die soeben erläu-
terte Lehre keinen Lehrbegriff der Erkenntnis bildete: D i e s e s
h ö c h s t e m y s t i s c h e E r k e n n e n i s t d i e V o r a u s -
s e t z u n g f ü r j e d e s a n d e r e E r k e n n e n t i e f e r e r
S t u f e , wie denn auch ein unmetaphysischer Geist in den Geistes-
wissenschaften niemals in die Tiefe dringen wird.
Wenn Eckehart dies nirgends eigens ausspricht, so doch nur, weil
es ihm selbstverständlich war. Die begriffliche Ausarbeitung seiner
Lehren stand ihm ja nirgends im Vordergrunde seiner Bemühungen;
ihn leitete immer nur das Trachten, zum höchsten mystischen Zu-
stande selbst hinzuleiten. Die mystische Erkenntnislehre Eckeharts
steht nicht so allein da, wie es scheinen möchte. Finden wir doch bei
P l a t o n ähnliches in dem bekannten Mythos, wonach die Seele in
ihrem Vorleben die Ideenwelt g e s c h a u t habe (Phaidros) und
alles Lernen nur eine Wiedererweckung dieser Schau, ein „Erinnern“
sei (Anamnesislehre im Menon). Meister Eckehart entwickelt aber
keinen Mythos, sondern gibt eine, so dürfen wir richtig sagen, nüch-
terne Analysis der mystischen Erfahrung, eine Analysis, welcher
nicht zu widersprechen ist. — So auch andere mystische Lehren, wie
sie z. B. in den Upanischaden enthalten sind, worauf wir aber hier
nicht eingehen wollen.
Wieder macht uns die Gleichheit der mystischen Lehren aller Zei-
ten erstaunen.
IV. Erkenntnis als Leben
Nun ist es klar, wieso Meister Eckehart sagen könne, Erkenntnis
sei ein Lebensvorgang in der Seele: das Erkennen aus dem „Er-
kanntwerden“ durch Gott ist keineswegs eine bloß gedankliche Tat;
vielmehr, so ist es ganzheitlich auszudrücken, ein Befaßtwerden,
eine Rückverbundenheit in Gott. Und dies ist mehr als Denken,
es ist ein Mitleben, eine Teilnahme am göttlichen Leben. Erkennen
ist also nicht etwas Abstraktes, sondern lebendige Ganzheit, Leben.
In der zuverlässigen 7. Predigt bei Pfeiffer heißt es: