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VII. Die zweite und dritte Stufe:

Begriffliche und sinnliche Erkenntnis

A. B e g r i f f l i c h e E r k e n n t n i s

Die zweite Stufe der Erkenntnis, die Erkenntnis aus den Ideen,

wurde zwar schon berührt, doch müssen wir sie als begriffliche, von

den Ideen abgeleitete, hier nochmals kurz behandeln, um das Ver-

hältnis der drei Stufen zu klären.

.. bekennet diu sêle got in den crêatûren, daz ist ein âbent. Aber der die

crêatûren in gote bekennet, daz ist ein morgenlieht. Daz si aber got bekennet,

als er alleine in sich wesen ist, daz ist der liehte mittag.“

1

Hiermit kennzeichnet Meister Eckehart wieder die drei Stufen

oder Arten der Erkenntnis: die mystische, welche als die höchste der

„lichte Mittag“ ist; die „Erkenntnis der Kreaturen in Gott“ oder,

wie er in der 56. Predigt sagt, der „Kreaturen als Gabe Gottes“, die

Ideenerkenntnis, hier als „Morgenlicht“ bezeichnet; endlich die

äußere, sinnliche Erkenntnis oder, wie es in der 56. Predigt heißt, die

Kreaturen, die Dinge, als „Wein, Brot und Fleisch“, also nur äußer-

lich, hier als „Abendlicht“ bezeichnet.

Gehen wir zur Erkenntnis „im Morgenlichte“, zur ideenhaft be-

grifflichen Erkenntnis über, so haben wir zuerst zu erklären, wie

Eckehart sagen könne, sie erkenne die Kreaturen „als Gabe Gottes“.

Der heutigen Logik ist die begriffliche Erkenntnis dasselbe, was sie

nach Eckehart damals den „kleinen Meistern“, nämlich den Nomi-

nalisten, war. Sie erklärt z. B. die Erkenntnis eines Baumes als

„Eiche“ als eine „Abstraktion“ aus vielen Sinneseindrücken. Der

abstrakte „Allgemeinbegriff“, z. B. „Eiche“, ist ihr das vielen ein-

zelnen Bäumen G e m e i n s a m e . „Eiche“ also nur als ein

N a m e für viele einzelne Bäume (daher „Nominalismus“). Für

Eckehart und die augustinisch-aristotelische Scholastik war aber die

Grundlage des Allgemeinbegriffes die Platonische Idee, eine trans-

zendente Macht, die sich in den Dingen d a r s t e l l t e , die Gat-

tungen und Ideen begründete. (Seit Augustinus wurden die Ideen

1

Pf. 263, 23: Erkennt die Seele Gott in den Kreaturen (also auf Grund von

Sinneseindrücken), ist das ein Abendlicht.

Aber wenn man die Kreaturen in Gott erkennt (als Ideen in Gott), so ist das

ein Morgenlicht.

Wenn aber die Seele Gott erkennt, wie er alleine in sich Wesen ist, dann ist

lichter Mittag.