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ben, „er war immer... Einer, Mystiker, auch wenn er als schola-
stischer Lehrer sprach ... Darum setzte er sich mit einem ihm zu-
geschriebenen Wort von den gelehrten magistri ab: ,wêger wêre ein
lebemeister denne tusend lesemeister'. — Das Einmalige ... (ist)
etwas, in das, wenn es geschieht, weder der Sichoffenbarende noch
der, dem solches widerfährt, einen anderen hineinnehmen kann.
Nur von hier aus ist denn ein solches sicherlich echtes Wort zu
verstehen, mit dem er ausspricht, daß er auch gepredigt haben
würde, wenn niemand als Hörer zugegen gewesen wäre: er hätte
dann dem Opferstock gepredigt. So kann nur sprechen, wer vom
Drang innerer Erfahrung erfüllt ist“
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.
Gewiß gibt es für diese persönliche Frage keinen Beweis im
theologischen Sinn, es gibt nur Indizien psychologischer Art. In die-
sem Sinne läßt sich zu den schon genannten Zeichen noch etwas
drittes beifügen: Wenn Mystik = lebendige Gotteserfahrung, fides
formata voraussetzend, dem Wortsinn des „Gottschauens“ in der
Seligpreisung des reinen Herzens nahe ist, und wenn sie, paulinisch
zu sprechen, zu den freien Charismen des Pneuma gehört, die nicht
zum geistlichen Selbstgenuß, sondern zum Aufbau der Gemein-
schaft, zum Dienst gegeben sind, so liegt darin nach allem, was uns
von Eckehart überliefert ist und worauf Spann in seinem ersten
Teil hinweist (von Eckeharts ganzer apostolischer Arbeit), ein letztes
und nicht geringstes Indiz für die These, die Spann vertritt — wie
mir scheint, ohne sachliche Gegeninstanz: es ist, wie gesagt, eine
religionspsychologische These, und wer sie bestreitet, müßte Indizien
im gegenteiligen Sinne anführen; dann aber kämen seine „Beweise“
darauf hinaus, uns glaubhaft zu machen, Meister Eckehart sei ein
fragwürdiger Deklamator und Effekthascher gewesen.
III. Der Aufbau der „Mystischen Philosophie Meister Eckeharts“
In der biographischen Einleitung des ersten Teiles sind einige
Kleinigkeiten gemäß den Forschungen von J. Koch verbessert wor-
den. Hervorragend ist die sorgfältige und sachgemäße Systematik
vom zweiten bis zum letzten Teil. Ausgangspunkt ist mit Recht die
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Udo Nix OP und Rapael Öchslin OP: Meister Eckhart der Prediger. Fest-
schrift zum Eckhartgedenkjahr 1960, S. 108 f. und S. 128.