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meinem Herzen, ihr verstündet wohl, was ich spreche, denn es ist

wahr, und die Wahrheit spricht es selber.“ Dazu die zahlreichen

ähnlich befaßten, unbewußten Selbstzeugnisse — religionpsycholo-

gische Indizien —, die Spann anführt! Das Charakteristische für

Eckehart sind nicht so sehr seine philosophischen oder theologischen

Leitgedanken: die verdankt er der zeitgenössischen Bildung in sei-

nem Orden

1

. Insofern übertreibt Spann die Originalität des Meisters;

aber auch hier gilt seine Bemerkung, daß die Verwendung von

Schulbegriffen „der Ursprünglichkeit und Selbständigkeit des mysti-

schen Lebens keinen Abbruch tut“.

Wenn eine vermeintliche Sachlichkeit des Theologen oder Be-

griffshistorikers es unangebracht findet, von Eckeharts Mystik zu

sprechen, weil er sich überlieferter Begriffe bedient, so scheint uns

der Beurteiler vor lauter Bäumen den Wald nicht zu sehen. Natür-

lich ist es „weitgehend eine Sache der Übereinkunft unter Theolo-

gen, was unter Mystik im christlichen und theologischen Sinn zu

verstehen sei“

2

. Aber das Geheimnis Eckeharts und was von ihm

ausging und weiterwirkte, liegt nicht in erster Linie in dem Ge-

dankensystem, das ihm vorschwebte, ohne daß er es je zusammen-

hängend entwickelt hätte (Spann holt es nach); es liegt auch nicht

bloß darin, daß er seine hohen, oft überraschend formulierten meta-

physischen Ideen mit Überzeugung als Wahrheit vortrug (das taten

auch andere Zeitgenossen); auch nicht bloß darin, daß er zur Ver-

mittlung seiner Ideen eine großartige Kunst des sprachlichen Aus-

drucks mit einer Fülle von originellen Bildern spielend beherrschte

— sondern vor allem darin, daß das ihn zutiefst Bewegende, eben

die Gottesgeburt in der Seele, das Leben Gottes in ihr, „wie der

Morgenstern“ in der Dämmerung aufleuchtet, wie die Blüte aus

dem verborgenen Grund der Seele hervorbrach. So empfanden es

die Zeitgenossen, ob sie ihn nun verstanden oder mißdeuteten.

Verstanden und verteidigt haben ihn seine nächsten Schüler, Or-

densbrüder und -Schwestern.

H. Kunisch hat recht, wenn er sagt, mit der Eigenschaft des scho-

lastischen Lehrers werde nicht der eigentliche Eckehart umschrie-

1

Siehe Udo Nix und Raphael Öchslin: Meister Eckhart der Prediger. Fest-

schrift zum Eckhartgedenkjahr 1960, S. 33—72.

2

Udo Nix OP und Raphael Öchslin OP: Meister Eckhart der Prediger. Fest-

schrift zum Eckhartgedenkjahr 1960, S. 59.