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wird sich in dem mehr subjektiven Tatbestand, welchen wir „ E i n -
g e b u n g s n ä h e “ nennen werden, äußern.
Hiermit ist das große Reich des Schönen und der Kunst umschrie-
ben.
Die vollständige Durchführung des Begriffes des Schönen ist die
einzige Aufgabe der Kunstphilosophie oder Ästhetik. Wird durch
die Erörterung aller Merkmale des Begriffes des Schönen das ge-
samte Tatsachengebiet der Kunstphilosophie erschöpft, dann ist das
der Beweis für die grundsätzliche Richtigkeit der Begriffsbestim-
mung.
Wir versuchen nun, die einzelnen Merkmale der Reihe nach
durchzugehen und sie aus der ganzheitlichen Auffassung, welcher
sie entstammen, zu erklären und zu begründen.
B. V o r l ä u f i g e r Ü b e r b l i c k u n d e r s t e
E r l ä u t e r u n g
Ehe wir in die Einzeluntersuchung eintreten, trachten wir einen
Überblick über den Gesamtsinn unserer Begriffsbestimmung des
Schönen zu erlangen, indem wir das Wichtigste, was uns am Herzen
liegt, hervorheben und kurz erläutern. Damit gewinnen wir auch
eine erste Erkenntnis des Standortes, den unsere Kunstphilosophie
einnimmt.
1.
Das Schöne beruht auf E i n g e b u n g . Für heutige Verhält-
nisse muß diese Bestimmung überraschen, weshalb wir uns angele-
gen sein lassen, gerade sie später ausführlich zu begründen. — Wird
die Eingebung oder Intuition dem Schönen und der Kunst zugrunde
gelegt, so hat das bedeutende Folgen. Die wichtigste ist, daß die
Kunst zuletzt m e t a p h y s i s c h begründet wird; was anderer-
seits wieder dazu führt, daß der Naturalismus und Biologismus wie
Pragmatismus von echter Kunst ausgeschlossen erscheinen müssen.
Denn das Schöne kann nun nicht auf Nachahmung der Natur be-
ruhen; diese kann nur noch werkzeugliche Bedeutung haben. Damit
ist freilich nicht die Lebenswahrheit der Kunst und des Schönen
ausgeschlossen. Im Gegenteile, die echte Eingebung bringt das ver-