56
bestimmt das „Geschmacksurteil“; vielmehr handelt es sich beim
Schönen um übersubjektiv gegebene Tatbestände. Die Eingebung
des schaffenden Künstlers ist es, welche sie erschließt, und die Fähig-
keit des Kunstgenießenden, die Eingebung in sich nachzuerzeugen,
welche das Innewerden des Schönen bedingt. Diese Fähigkeit kann
man als „Eingebungsnähe“ bezeichnen. Damit ist die Aufgabe der
philosophischen Kunstlehre abgeschlossen.
Aus all dem Gesagten ergeben sich noch F o l g e r u n g e n , von
denen wir hier als wichtigste nur folgende hervorheben:
5.
Durch den Begriff der R ü c k v e r b u n d e n h e i t wird
nun der Grundgedanke der idealistischen Kunstphilosophie von
Platon und Plotin bis Schelling und Hegel in bestimmterer Weise
als je bisher begründet: die Zurückführung des Schönen auf einen
ü b e r s i n n l i c h e n Grund! Zuletzt gibt es nur ein untrüg-
liches Merkzeichen echter und hoher Kunst, die metaphysische Er-
griffenheit, in welche sie uns versetzt. Das Rückverbundenheitsbe-
wußtsein erklärt uns dieses. Aber schon die Eingebung gibt uns
Kunde von einer höheren Welt, den Ideen als den gestaltenden
Mächten des Lebens. Daher hohe Kunst stets in die Nähe der Reli-
gion gerückt ist.
Vollkommenheit und Unvollkommenheit der Eingebung und
Rückverbundenheit zeigt sich an der Höhe der Ubersinnlichkeit des
Schönen.
6.
Mit dem Dargelegten, besonders auch dem übersinnlichen Ge-
präge der Kunst erweist sich die Ursprünglichkeit, Unableitbarkeit
und Arteigenheit des Schönen gegenüber dem N ü t z l i c h e n und
sinnlich Angenehmen; aber auch gegenüber dem W i s s e n u n d
d e m S i t t l i c h - G u t e n sowie gegenüber dem R e l i g i ö s -
M e t a p h y s i s c h e n .
Zugleich ist indessen auch die innige Verwandtschaft der zuletzt
genannten Gebiete mit der Kunst erklärt. Denn allen liegt dieselbe
Eingebung zugrunde. Da aber die Kunst das in der Eingebung Emp-
fangene gestaltet, während die Wissenschaft es vergegenständlicht,
trennen sich Schönheit und Wahrheit, Kunst und Wissenschaft.
Infolge der hier hervortretenden Grundstellung der Gestalt ho-
ben wir die Notwendigkeit ihrer Vollkommenheit, nämlich ihrer
„Ebenbildlichkeit“, schon in der Begriffsbestimmung hervor (wäh-
rend sonst die Schwankung zwischen Vollkommenheit und Unvoll-