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borgene Innere, die geheime Wahrheit des Menschen und der Dinge
an den Tag (man denke nur an Shakespeare).
2. Das Schöne beruht auf G e s t a l t u n g des in der Eingebung
Empfangenen. Hiermit ist, wie früher schon angedeutet, nicht nur
der Unterschied von Kunst und Wissenschaft, von Schönheit und
Wahrheit bezeichnet; es sind auch zwei Urelemente, zwei Richtun-
gen in der künstlerischen Arbeit unterschieden: Die Eingebung und
die Gestaltung können verhältnismäßig für sich hervortreten, ver-
hältnismäßig für sich vom Künstler verfolgt werden. Man kann nun
eingebungsstarke und eingebungsschwache Schönheit und Kunst
unterscheiden; endlich diese Unterschiede wieder miteinander ver-
binden.
Die Erfahrung bestätigt dies auch, indem sie lehrt, daß in der
Geschichte solche Künstler und Kunstrichtungen zu unterscheiden
seien, deren Stärke in der Eingebung, und solche, deren Stärke in der
Gestaltung wie Ausgestaltung liegt. In Lope de Vegas Werken z. B.
blitzt überall der Reichtum an Eingebung auf, während die Durch-
führung und Ausgestaltung eher zurückbleibt. Bei Shakespeare hal-
ten sich Eingebung und ausarbeitende Gestaltung meist, bei Mozart
immer die Waage.
3. Das Schöne beruht auf R ü c k v e r b u n d e n h e i t ; und es
äußert sich
4.
dem Genießenden als u n m i t t e l b a r e s Ergriffen- oder
Innewerden der Rückverbundenheit des Gestalteten sowohl wie der
Eingebung, welche dem Gestalteten zugrunde liegt.
Mit der Rückverbundenheit ist jener metaphysische Schimmer
in das Schöne gebracht, welcher auf andere Weise unmöglich erklärt
werden kann und aller wahren Schönheit schlechthin unentbehrlich
ist.
Mit der Unmittelbarkeit des Innewerdens ist das Schöne auch
vom bloß subjektiven „Gefühl“ und der subjektiv-sinnlichen
„Lust“ geschieden. An deren Stelle tritt das unmittelbare Ergriffen-
sein vom Schönen in seiner Rückverbundenheit. Der heutigen See-
lenkunde ist ein solcher Vorgang allerdings unverständlich.
Damit ist endlich auch der Begriff des „Wohlgefallens“ am Schö-
nen ausgeschaltet. Gehört ja doch auch das Wohlgefallen an der
Wahrheit und am sittlich Guten nicht zur Logik und Ethik im
engeren Sinne. Nicht ein subjektiv wechselnder, seelischer Vorgang